Zeitungsartikel: 2009-11-09 Augsburger Allgemeine
Ein Verdacht nimmt Gestalt an
Detailinformationen
Datum
09.11.2009
Ort
Art des Dokumentes
Zeitungsbericht
Verfasser
Barbara Würmseher
Verfasst für
Augsburger Allgemeine
Verfügbar
Zeitungsarchiv
Inhalt
Ein Verdacht nimmt Gestalt an Neuburg. Die moderne Kriminaltechnik hat schon in so manchem ungelösten Mordfall noch Jahrzehnte später für Überraschungen gesorgt. DNA-Analysen oder Profiling etwa bringen den Ermittlern immer wieder Lösungen in längst verloren geglaubten Kämpfen gegen das Verbrechen. So scheint man jetzt auch der Wahrheit im Sechsfachmord von Hinterkaifeck ein Stück weit näher zu sein, seit sich die Polizeihochschule Fürstenfeldbruck dieser mysteriösen Bluttat angenommen hat. Das Doku-Drama „Die wahre Geschichte hinter Tannöd - Hinterkaifeck“ von Filmemacher Kurt Hieber nimmt diese Ermittlungen mit neuzeitlichen Methoden zum Anlass, zusammen mit den Kriminalkommissaren Spuren nach dem wahren Täter zu suchen. Und das 87 Jahre nach dem Verbrechen. Zwar steht am Ende der Recherchen nicht der Name des Täters, der mit einer Reuthacke eine ganze Bauernfamilie ausgelöscht hat - denn dafür fehlen schlussendlich Beweise oder ein Geständnis. Allerdings vertritt Kurt Hiebers Film, den er fürs ZDF gedreht hat, eine ganz bestimmte Version als die wahrscheinliche. Es rückt den damaligen Nachbarn von Hinterkaifeck, Lorenz Schlittenbauer, als Tatverdächtigen in den Mittelpunkt. Ehe das Doku-Drama am Mittwoch, 18. November (23.30 Uhr) im ZDF läuft, wurde es jetzt vorab in den Kinos der Region gezeigt. Er stieß auch im Neuburger Hofgarten-Theater auf ein interessiertes Publikum, das den Regisseur mit einer Reihe von Fragen konfrontierte. Was sich in jener stürmischen Nacht zum 1. April 1922 zugetragen hat, muss das Ergebnis einer Beziehungstat sein. Das sehen die Ermittler der Polizeihochschule als erwiesen an, die somit nicht an einen Raubmord glauben, wie ihn seinerzeit die Kriminaler aus München für wahrscheinlich gehalten hatten. Lorenz Schlittenbauer - so rollt der Film erneut auf - war möglicherweise der Vater des Buben Josef. Gerüchten zufolge könnte das Kind aber auch aus dem inzestuösen Verhältnis Andreas Grubers und seiner Tochter gestammt haben. Im Doku-Drama aber fährt Viktoria Gabriel mit einer Wagonette in die Stadt und vertraut dem Kutscher an, sie wolle einen Juristen aufsuchen, um von Schlittenbauer Unterhalt zu fordern. Der Film wirft die Frage auf, ob Schlittenbauer wohl darüber entzürnt gewesen sei, Geld für ein Kind zahlen zu sollen, dessen Vater er vielleicht ja gar nicht sei. Immerhin wird der Bauer nach Auffinden der Leichen aus einem Vernehmungsprotokoll zitiert, er sei wütend auf die Hinterkaifecker gewesen. Und laut diesem Protokoll hat er über den Mord gesagt: „Da hat der Herrgott schon die rechte Hand am rechten Fleck gehabt.“ Karl Gabriels Name auf einem Gedenkstein. Zahlreiche Spuren sind bei den Ermittlungen 1922 am Tatort nicht erkannt worden - nicht nur deshalb, weil die Möglichkeiten damals noch nicht so weit waren. Hiebers Film kommt zur Auffassung, die Polizei aus München habe schlichtweg kein ausreichendes Interesse an dem Fall aus der Provinz gehabt. Fingerabdrücke wurden ebenso wenig genommen, wie man die damals neueste technische Errungenschaft - eine Reiseschreibmaschine - dabei gehabt habe. Fünf Tatort-Fotos sowie eine Fülle an Vernehmungsprotokollen waren weitgehend die Basis für die jetzigen Recherchen der Polizeihochschule. Seit sie beendet sind, wurden die Akten im Fall „Hinterkaifeck“ ein weiteres Mal geschlossen. Allerdings hat sich das Mysterium trotzdem noch lange nicht erledigt, denn eine Gruppe Hobbydetektive] ermittelt unbeirrt weiter: die Internet-Soko, die im Netz stets bemüht ist, weitere Spuren zusammenzutragen.
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