Zeitungsartikel: 1952-05-05 Weltbild
Ich weiß, wer der Mörder ist...
Detailinformationen
Datum
05. Mai 1952
Ort
Art des Dokumentes
Zeitungsartikel
Verfasser:
Heinz Ulrich u. Gerhard Gronefeld
Verfasst für
Weltbild
Inhalt
"Ich weiss wer der Mörder ist... ...aber sage es nicht!" Seit Jahren kennt ein Geistlicher das Geheimnis einer furchtbaren, bisher ungesühnten Mordtat. Aus seinen Andeutungen geht hervor, daß die Täter noch leben. WELTBILD-Reporter Heinz Ulrich und Gerhard Gronefeld forschten daraufhin in monatelanger Arbeit den Spuren des Verbrechens nach. Es ist als wären die Geister der Toten wieder lebendig geworden. Ein Stein ist ins Rollen gekommen. "In einer kleinen schwäbischen Landstadt sitzt ein Priester, der weiß es", schreibt am 10. Oktober 1951 der neunzehnjährige Schriftsetzerlehrling Rudolf Stolz an die Radaktion der "Schwäbischen Landeszeitung" in Augsburg. "Der Priester weiß, wer die Mörder sind", schreibt er, "aber er will es nicht sagen."
"Sonst wir man denken: die Kirche hat Diener, die nicht zu schweigen verstehen", hatte der Geistliche zu diesem jungen Mann gesagt, als sie einmal im Kreise der Pfarrjugend über das Beichtgeheimnis sprachen. In diesem Gespräch hatte der Priester erwähnt, daß er die Täter eines seit dreißig Jahren ungesühnten ungeheuerlichen Verbrechens kennt - die sechsfachen viehischen Mörder, die "Schlächter von Hinterkaifeck". Auf dem Totenbett "Es sind Leute, die bisher noch niemand verdächtigt hat!, sagte der Priester. "In keinem Protokoll sind sie aufgetaucht, in den ganzen langen dreißig Jahren. Sie konnten sich sicher fühlen." Und er hat weiter erzählt, daß ihn während des Krieges, er als Kaplan in einer Großstadt war, eine fünfzigjährige Frau ihn rufen ließ. Sie lag auf dem Totenbett und wollte ihr Gewissen erleichtern. Sie hat ihm die Namen der Mörder genannt. Sie hat gesagt, er solle es der Polizei mitteilen. Diese Geständnis erfolgte außerhalb der Beichte. Der Priester könne es also sagen. Aber nach dem Gesetz ist er dazu nicht verpflichtet. Die Zeitungsnotiz kommt natürlich in die Hände des Staatsanwalts. Der junge Mann wird vernommen. Auch in der WELTBILD-Redaktion wird der Fall besprochen. Der Standpunkt des Pfarrers wirft ein Problem auf, das für die Allgemeinheit von größtem Interesse ist. Man muss mit diesem Geistlichen sprechen... Es ist im Februar, Schneestürme wehen über die Schwäbische Alb. Nach schwerer Fahrt stehen wir abends endlich vor dem Kaplan A. (Der Name wird hier auf Wunsch der Staatsanwaltschaft verschwiegen.) In der Küche eines Gasthofs seiner Gemeinde haben wir ihn getroffen. Er ist ein fester, aufrechter Mann, der Kaplan, vierzig Jahre alt, ein Landpriester, der aus diesem Ort stammt und die schwäbische Mundart seiner Heimat spricht. Bevor wir ihm sagen, weswegen wir kommen, weiß er schon, was wir wollen. "Ich habe mir gedacht, daß bald einer kommen würde ...aber ich sage nichts", setzt er sofort hinzu. "Aber es stimmt doch alles!" "Was ich gesagt habe stimmt." "Sie kennen die Mörder?" "Ja", sagt er, ohne zu schwanken. "Wann ist das gewesen, das mit der Frau?" "Das ist lange her", sagt er und kneift die Augen zusammen. "Gegen Mitte des Krieges mag es gewesen sein - vielleicht zweiundvierzig." "Die Frau hat also gesagt, daß ihre zwei Brüder die Mörder sind?" "Sie hat schwer gerungen mit diesem Geständnis", sagt der Kaplan. "Drei Stunden lang habe ich bei ihr gesessen. Sie hat mich gebeten, es der Polizei mitzuteilen. Aber ich konnte mich nicht entschließen." "Wo sie doch selbst darum gebeten hat?" "Ein Priester soll schweigen", sagt der Geistliche. "Das ist mein Standpunkt. Verstehen sie das nicht?" Und wenn der Staatsanwalt... "Aber wenn sie der Staatsanwalt fragt? sind sie dann nicht verpflichtet, es ihm zu sagen?" "Nein", sagt er, "ich brauche es niemanden zu sagen. Es kann mir auch niemand befehlen es auszusagen. Auch meine geistlichen Oberen nicht ... Nein, ich schweige", sagt er und wischt sich den Schweiß von der Stirne. Es ist immer heiß in der Küche, in der wir noch immer stehen. Man hat uns allein gelassen. Der Kaplan tritt unruhig hin und her. Er ringt mit seinem Gewissen. Sechs Menschen hat man damals umgebracht, und noch immer gehen die Geister der Toten herum in der Welt und wollen gerächt sein. Da sitzt eine Familie in der Gegend von Hinterkaifeck, die wird von den anderen gemieden, weil man noch heute glaubt, einer der ihren sei der Mörder gewesen. Noch heute ist die Familie der Gabriels verfemt. Man deutet mit Fingern auf sie, und man erzählt dem Fremden: Die waren's..." Seit dreißig Jahren wuchtet auf ihnen der schwere Verdacht. Er wird nie verstummen, bevor man die wirklichen Mörder findet... "Das weiß ich", sagt der Kaplan, "aber ich kann es nicht sagen. Sie müssen mich doch verstehen!" Aber wir verstehen ihn nicht. "Es ist so lange her", sagt er und ringt seine Hände. "Man soll es doch ruhen lassen." "Aber es ruht ja nicht", sagen wir. "Es lastet ja doch schwer auf den Menschen in dieser Gegend. Es ist wie ein Fluch..." "Ich will mit der Sache nichts zu tun haben", sagt er. Zwei Stunden haben wir diskutiert und sind keinen Schritt weiter gekommen. Wir brechen ab und drücken ihm die Hand. "Ich bin Ihnen nicht böse", sagt der Geistliche. "Sie haben ehrlich gesagt, was Sie wollen , und ich habe gesagt, was ich denke. Es geht nicht." Zittert seine derbe Bauernhand nicht? Uns scheint es so. Es hat ihn erschüttert. Ist er in seiner Meinung schwankend geworden? "Mein ist die Rache!" Drei Tage später sind wir in Hinterkaifeck.
Ein großes, schweigendes weißes Feld. Düstere fleckige Wolken schieben sich über den Wald, der dasteht wie einer, der reden will und doch zum Schweigen verdammt ist. Kein Weg führt durch den hohen Schnee. Tief sinken wir ein. Nicht einmal Spuren von Füchsen oder Hasen durchbrechen das weiße Tuch. Dann sind wir an dem Gedenkstein.
Dieser Stein - das ist alles, was von dem Einödhof Hinterkaifeck übriggeblieben ist. Niemand hat dort mehr wohnen mögen. Ein Jahr nach der Tat hat man ihn abgerissen. Man versteht das, wenn man die Stelle sieht, und es beklemmt einem das Herz, wenn man nach der verwaschenen Inschrift sucht.
"Gottloser Mörderhand fiel am 31. März 1922 die Familie Gabriel-Gruber von hier zum Opfer. Andreas Gruber, geb. 1858, Cäcilie Gruber, geb. 1849, Viktoria Gabriel, geb. Gruber, geb. 1887, deren Kinder Cäcilie, geb. 1915, Josef, geb. 1919; Dienstmagd Jungfrau Maria Baumgartner, geb. 1877. Der Herr gedenket als Bluträcher ihrer, vergißt nicht das Geschrei der Armen. Psalm 9, 13." Das war doch kein Raubmord! Auf dem ersten Hof in Gröbern treffen wir den Ortsführer Hans Schlittenbauer, einen Mann von kleiner geduckter Statur mit rötlichen Haaren. Er werkelt gerad an einem Schuppen.
"Von der Zeitung?" lacht er und dreht ein großes Messer in seinen Händen. "Ihr gebt keine Ruhe mit Hinterkaifeck?"
"Nein", sagen wir. Nachher sitzen wir bei ihm in der Küche. Ein seltsamer Raum, kahl an den Wänden, aber alles steht voller Gerümpel. Ein Mädchen näht auf einer modernen Nähmaschine. Das ist alles, was darauf deutet, daß hier wohlhabende Bauern wohnen. Der Bauer ist da, seine Frau, das große Mädchen, dann die Kinder. Ein Junge liegt auf dem Sofa und stöhnt, er ist krank. Ein anderer Junge sitzt auf dem Herd. Zwei kleine Kinder stehen umher. Die Sache mit dem Schlüssel " 'Die hat niemand anders erschlagen als du', hat der Pölt zum Schlittenbauer gesagt, und der hat ihn nicht angezeigt wegen Verleumdung. Bloß mich hat er angezeigt, weil ich das von dem Schlüssel gesagt habe..." Wer stirbt, lügt nicht "Lorenz Schlittenbauer ist nicht der Mörder gewesen", sagt Bumiller Johann, der ihm die letzte Beichte abgenommen hat. "Auf dem Totenbett hätte er sicher geredet. Über alles andere hat er gesprochen. Über die tausend Mark, über die falsche Vaterschaft. Wer im Sterben liegt, lügt nicht mehr". Ist das wahr? Will sich jeder von der Lüge seines Lebens befreien? Aber dann hat auch die Frau, die dem Geistlichen von ihren Brüdern erzählt hat, die Wahrheit gesagt. Führt von dem, was wir über Hinterkaifeck erfuhren, vielleicht doch eine Spur zu der Aussage dieser Frau? Gibt es nicht doch ein Mittel, das Geheimnis zu lüften - werden die verstaubten Akten über die Tragödie von Hinterkaifeck noch einmal geöffnet?
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