Ermittlungsarbeit in einem Kriminalfall 1922ff

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Auch die Polizeiarbeit im Jahr 1922 war bereits bis ins Detail durchorganisiert. In dieser neuen Kategorie "Polizeiarbeit" soll vorgestellt werden, nach welchen Vorgaben die Polizei einen Tatort untersuchten und welche Möglichkeiten ihnen 1922 zur Verfügung standen.


Legende

im Fall Hinterkaifeck durchgeführt
durchgeführt, nicht erhalten
teilweise durchgeführt, nicht vollständig
Maßnahme nicht durchgeführt
? unklar

Praktische Polizeiarbeit in einem Mordfall 1922

Bei Bekanntwerden der Tat

Benachrichtigungen weiterer Behörden

  • Ortspolizei benachrichtigt die Kriminalpolizei im „schweren Straffall“
  • Benachrichtigung des Amtsgerichts

Organisation einer Mordkommission

  • Eindeutige Klärung der Leitungsfunktion
  • Zusammenstellung einer Gruppe von Ermittlern und Spezialisten
  • Unverzügliches Begeben einer Abordnung von Kriminalisten zum Tatort Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft mit ausreichend Personal und Material für die ersten Maßnahmen vor Ort

Am Tatort

„Der Erste Angriff“ (Sofortmaßnahmen)

  • Verfolgung und Ergreifung des Täters
  • Sicherung des Tatbestandes
    • Absperrung des Tatorts (Schutzmannschaft)
    • Für Ruhe und Ordnung am Tatort sorgen (Ortspolizei)
    • Entfernung von Schaulustigen (Ortspolizei)
    • Trennen der Zeugen und Neugierigen zur Vermeidung gegenseitiger Beeinflussung (Ortspolizei) ?

Lokalaugenschein (durch Mord- und Gerichtskommission)

  • Erstellung eines ausführlichen Augenscheinprotokolls
    • samt Skizzen ?

Spurensicherung (am Tatort und Umgebung)

(für eine detailliertere Betrachtung der Spurensicherung und ihrer Möglichkeiten samt Grenzen klicken Sie bitte hier)

Dokumentation des Tatortes

  • Tatbestandsbericht: Beschreibung des Tatortes ohne Filterung, auch scheinbar Unwichtiges muss Erwähnung finden und das, was nicht gefunden wurde ebenso (z.B. „keine Blutspuren im Flur“)
  • Tatortskizze
  • Fotos vom Tatort, von den Opfern (aus mehreren Perspektiven inkl. Draufsicht), von Blutspuren, von Fußspuren, von jedem Raum; sofortige Beschriftung samt Datum, Ort und Bemerkungen zum Motiv, zur Position des Fotografen und zu den Lichtverhältnissen, möglichst eine Nah- und eine Übersichtsaufnahme
  • Umgebungskarte mit wichtigen Merkmalen erstellen ?
  • Zeitnah: Genaue Feststellung der Witterungsverhältnisse zum Tatzeitpunkt ?
  • Augenmerk soll auf allen zurückgelassenen Gegenständen liegen, auch wenn sich später herausstellen könnte, dass diese zum Haushalt gehörten oder es sich um vom Täter gelegte Trugspuren handelt ?

Aufsuchen von Verstecktem

Ziel ist es, vom Opfer oder Täter versteckte Dinge aufzufinden, auch unter erheblichem Aufwand (z.B. in Vogelbauern, in der Sofafütterung, in Futterkrippen, in der Hundehütte, unter Zeitungsstapeln, in Mauerhohlräumen, unter dem Fußboden, in gegrabenen Löchern drinnen und draußen)

Befragung von Auskunftspersonen

  1. Erste Befragungen zur Feststellung, wie genau der Tatort vorgefunden wurde (bevor die Neugierigen den Tatort besichtigt und Spuren verändert oder vernichtet haben)
  2. Hausleute, Nachbarn, Verwandte
  3. Zeugen, die (Leumunds-)Auskunft über das oder die Opfer geben können: Ortsführer, Bürgermeister, Lehrer, Pfarrer, Ortspolizei usw.

Organisation einer Bewachung des Tatortes

Akute Warnungen und Suchmaßnahmen

  • Warnungen an Polizeistationen der Umgebung
  • Fahndungsaufrufe in Polizeiblättern
  • Belohnung
  • Warnmeldungen an die Bevölkerung
  • Durchsuchung der näheren und weiteren Umgebung mit Hundertschaften
  • Überprüfung von kürzlich entlassenen oder entflohenen Gefängnisinsassen

Obduktion

  • Sorgfältige Durchführung einer Sektion gemäß den "Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen" (1905)
  • Fotografien der Opfer mit Augenmerk auf die festgestellten Verletzungen (z.B. Fotografie der Schleimhäute bei Vergiftungsopfer)

Ermittlungen

Sammeln von Informationen

  • Zeitungsartikel sammeln
  • Post überprüfen

Erweiterte Zeugenbefragungen

  • Bedienstete und Arbeiter an Bahnhöfen, Märkten, Sammelplätzen
  • Überprüfung von Gastwirtschaften im Umkreis einer Tagesreise
  • Befragung von Hinweisgebern und den sich daraus ergebenden Folgezeugen

Tatrekonstruktion und weitere fallbezogene Maßnahmen

  • Nachstellung von Beobachtungen und Abgleich mit Augenzeugen
  • Rekonstruktion des Tatherganges
  • Gegenüberstellungen
  • Sonstiges (Stimmenvergleiche, Ortsbegehungen mit Zeugen, Geräuschtests)
  • Erstellen von Übersichtstafeln (wie z.B. chronologische Sortierung der ermittelten Beobachtungen, Verwandtschaftsverhältnisse, Aufstellungen über die Örtlichkeiten)

Fragen klären

  • Wer hielt sich zur Tatzeit vor Ort auf? ?
  • Die Gewohnheiten der Opfer
  • Auffälligkeiten im Vorfeld der Tat
  • Was wurde entwendet?
  • War das Opfer mit Jemandem im Streit?
  • Bei Raubmordverdacht: wer kannte die Geldverstecke, wer wusste vom Reichtum?
  • Wer hatte eines der häufigsten Motive für Mord? (Gewinnsucht/Gier, Nahrungssorgen, Freiheitstrieb. Rache, Eifersucht, Fanatismus, Mordlust, Aberglaube, perverser oder übermäßiger Sexualtrieb, Verdeckung einer Straftat)
  • Beziehungen der Opfer

Observationen und Routineaufgaben

  • Eigene Beobachtungen im Umfeld der Opfer (z.B. bei Beerdigung, bei deren Arbeitsstelle, im Wirtshaus etc.)
  • Beobachtungen an Bahnhöfen oder sonstigen zentralen Stellen
  • Untermischen unters Volk?
  • Prüfen der Listen von vorbestraften Leuten der Umgebung

Gegen konkrete Verdächtige

  • Hinzuziehung von Personalakten, Strafakten, Fotografien von Verdächtigen
  • Überprüfung von Alibi und Motiv
  • Vernehmungen der Verdächtigen und Personen ihrer Umgebung
  • Melderegister
  • Durchsuchung der Wohnungen von Verdächtigen ?
  • Beschlagnahmung von Gegenständen ?
  • Festnahme ?

Hinzuziehen von Sachverständigen

Zur Sicherung und Dokumentation des Tatorts (unmittelbar nach Entdeckung der Tat)

  • Spurensicherer
  • Tatortfotograf
  • Hundeführer

Zur Obduktion

  • Gerichtsmediziner
  • Fotograf ?

Zur Begutachtung von sichergestellten Spuren und zur Tatrekonstruktion

  • Mediziner (z.B. behandelnde Ärzte bei ungeklärter Todesursache oder bei Alkohol als vermuteter Unfallursache; zur Zuordnung von Tatwaffe zu den Verletzungen; zur Ermittlung des Tatherganges)
  • Chemiker und Mikroskopiker (z.B. bei Vergiftungen; Untersuchung von Fingerabdrücken, Fußabdrücken, Blut, Samen, Haaren, Exkrementen, Schriftgutachten, Faseruntersuchungen, Schmutz an Werkzeugen oder anderen Gegenständen etc.) ?
  • Physiker (z.B. zur Feststellung des Alters von Sachschäden oder der Wirkung von Schüssen, Würfen, Sturz-Vorgängen) ?
  • Graphologen/Schriftsachverständige ?
  • Kraftwagensachverständige bei Autounfällen ?
  • Schußsachverständige ?
  • Weitere wie: Mineralogen, Geologen, Botaniker, Zoologen, Ingenieure, Baumeister, Kaufleute ?

Kommunikation/Berichterstattung/ Organisation/ Dokumentation

  • Designationsbücher ?
    (Liste vermisster Gegenstände samt Informationen, wann und wo sie verschwunden sind)
  • Mobilisierung von Personal
  • Fahndungsregister (mit allen gesuchten Personen)
  • Tagesbericht an die Leitung der Mordkommission
  • Laufzettel ?
  • Polizeiblätter
  • Rundschreiben und Bekanntmachungen an polizeiliche Dienststellen und Behörden
  • Berichterstattung an Staatsanwaltschaft und Regierung
  • Verständigung mit der Presse