Wissen: Verjährung
Was?
Im Zusammenhang mit den Mordermittlungen in Sachen Sechsfachmord auf Hinterkaifeck taucht immer wieder der Begriff der Verjährung auf. Sie stellt eine Frist dar, nach deren Ablauf eine Bestrafung für ein Verbrechen nicht mehr möglich ist. Dies wurde v.a. bei den späten Ermittlungen ab 1951 großes Thema.
Was also steckt hinter der Verjährung? Verjährt Mord überhaupt? Welchen Rahmen gaben und geben die damaligen und heutigen Gesetze vor?
Strafgesetzbuch von 1872
Das damals gültige Strafgesetzbuch weist folgende Paragraphen aus, die die Verjährung betreffen:
§. 66.
Die Strafverfolgung von Vergehen, die im Höchstbetrage mit einer längeren als dreimonatlichen Gefängnißstrafe bedroht sind, verjährt in fünf Jahren, von anderen Vergehen in drei Jahren. §. 68. §. 69. §. 70.
Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem das Urtheil rechtskräftig geworden ist. [53] §. 71. §. 72. |
Bedeutung für den Fall Hinterkaifeck
Nach § 67 wird bei einem Kapitalverbrechen eine Verjährungsfrist von 20 Jahren angesetzt.
Voraussetzung für eine Verjährungsfrist ist entweder ein Strafverfahren oder ein gerichtliches Urteil.
Diskussion um die Verjährung im Mordfall Hinterkaifeck
1952ff Bayerischer Landtag
1953 gab es wahrscheinlich aufgrund der Recherchen von Ulrich und Gronemeyer und der starken und Medienpräsenz von Hinterkaifeck sowie einer erneuten Untersuchung HKs durch die Staatsanwaltschaft ab 1952 eine Fragestunde im Bayerischen Landtag.
Aus dem Protokoll:
Ausgangsfrage: "Wie konnte es geschehen, daß der am 25.4.1922 auf dem Hof begangene 6fache Mord an dem Täter, der jetzt offenbar bekannt ist, nicht gesühnt werden kann. Warum hat die Staatsanwaltschaft nicht dafür gesorgt, daß die Verjährung rechtzeitig unterbrochen und die Möglichkeit der Strafverfolgung gewahrt blieb."
Antwort des Justizministers (Auszug): "1. ... Nach §76 [Anm.: gemeint ist §67] Abs. I des Strafgesetzbuches verjährt die Strafverfolgung wegen Mordes in 20 Jahren und nicht, wie in den Zeitungen zum Teil angenommen worden ist , in 30 Jahren. Die Verjährung wird nur durch eine Handlung des Richters, die wegen der begangenen Tat gegen den Täter gerichtet ist, unterbrochen (§68 Abs. I StGB); dabei wirkt die Unterbrechung, wie in §68 Abs. II noch ausdrücklich klargestellt ist, nur gegen die Person, auf die sich die Unterbrechungshandlung bezieht. Eine Handlung eines Richters gegen eine zu Unrecht als Täter angesehene Person genügt also nicht, um gegen den wirklichen Täter die Unterbrechung der Verjährung herbeizuführen." und weiter: 2. Auf den Mordfall Hinterkaifeck angewendet, bedeutet dies: Der Mord vom 25.4.1922 war bereits am 25.4.1942 verjährt, sofern nicht eine wirksame richterliche Unterbrechungshandlung gegen den wirklichen Täter durchgeführt wurde. Ob eine solche richterlichen Handlung bis zu diesem Zeitpunkt vorgenommen worden ist, wird zur Zeit noch festgestellt. Die Ermittlungen sind sehr mühsam, weil die Gerichtsakten beim Brand des Augsburger Justizgebäudes mitverbrannt sind.
Interessant ist ein Hinweis auf eine "Beratung des sog. Strafrechtsbereinigungsgesetzes im Bundesrat", bei der der Fall Hinterkaifeck eine entscheidende Rolle gespielt hat, um die Verjährung von Kapitalverbrechen auf 30 Jahre auszudehnen. Interessant auch das falsche (?) Tatdatum, das sich durchzieht.
1968 Bundestag
Der Bundestag sah sich konfrontiert mit einer drohenden Verjährung der Verbrechen, die im Zeitraum des Zweiten Weltkriegs geschehen waren.
Interessant ist der thematische Ausgangspunkt: auch hier wurde als Beispielfall Hinterkaifeck angeführt.
Heute verjährt Mord nicht
Im Zuge der Aufarbeitung der Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges entbrannte ab den frühen 60er Jahren erneut eine Diskussion um die Verjährung von Kapitalverbrechen. Damit diese Verbrechen auch noch später geahndet werden konnten, verlängerte man zunächst 1965 die Verjährungsfrist für Mord und Völkermord um 10 Jahre, um sie dann schliesslich 1979 ganz aufzuheben.