Dokumente: 1926-11-06 Zusammenstellung des Staatsanwaltes Pielmayer
Bericht d. Staatsanwaltes Pielmayer
Detailinformationen
Datum
06.11.1926
Ort
Art des Dokumentes
Zusammenstellung
Verfasser
Richard Pielmayer Staatsanwalt am Landgericht Neuburg a.D.
Verfasst für
Zusammenstellung über die Erhebungen betreffend den sechsfachen Raubmord in Hinterkaifeck, Gemeinde Wangen
verübt am 31.03. auf 01.04.1922.
Quelle
Staatsarchiv München, PolDir 8091b
Inhalt
I. Zur Vorgeschichte 1. Die Landwirtseheleute Karl Gabriel und Viktoria Gabriel, letzt. Geb. Gruber, besaßen das im Grundbuch
Wangen Bd. I S. 272 vorgetragene Einödanwesen Hinterkaifeck, Ortschaft Gröbern, Gde. Wangen, in allgemeiner Gütergemeinschaft aufgrund Ehevertrags zu Urkunde des Notariats Schrobenhausen vom 11.III.1914 G.R.No. 399. Es wurde von der Ehefrau Viktoria Gabriel in die Ehe gebracht, - ihr von ihren Eltern Andreas und Zäzilia Gruber übergeben – und ist im Ehevertrag auf 5000 Mark angeschlagen. Karl Gabriel, der zum Res.Inf.Reg.No.13 im Weltkriege eingezogen war, ist am 12. Dezember 1914 im Gefecht bei Neuville gefallen. Laut Erbschein des Amtsgerichtes Schrobenhausen ausgestellt unterm 11.Dezember 1922 –an Stelle des eingezogenen Erbscheins vom 19.Februar 1915-, wurde Karl Gabriel aufgrund des Gesetzes von seiner Witwe Viktoria Gabriel in Hinterkaifeck zu einem Viertel und von seiner Tochter Zäzilie Gabriel zu drei Viertel beerbt. (Nachlaßakten des Amtsgerichts Schrobenhausen N.R.No.188/14). 2. Viktoria Gabriel, geb. Gruber, hatte vor ihrer Verehelichung und zwar in der Zeit von 1907 bis Sommer 1910, also von ihrem 16. Lebensjahre ab, mit ihrem leiblichen Vater Andreas Gruber außerehelichen Geschlechtsverkehr gepflogen und wurden durch Urteil der Strafkammer des Landgerichts Neuburg a.D. vom 28.Mai 1915, Andreas Gruber hiewegen zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr, Viktoria Gabriel zur Gefängnisstrafe von einem Monat verurteilt. (Vormundschaftsakten des Amtsgerichts Schrobenhausen betreffend Gruber Josef V.V.216/19). Damit steht auch im Zusammenhang die Aussage des Schlittenbauer als Zeuge vor dem Ermittlungsrichter Schrobenhausen vom 25.September 1919, in welcher Schlittenbauer seine Beschuldigung gegen die Gruber und Gabriel zurücknahm. Auf Grund dieser Aussage wurde Andreas Gruber, der am 13.9.19 in Untersuchungshaft genommen war, am 27.9.19 aus der Untersuchungshaft entlassen.
Seine Beschwerde und weitere Beschwerde gegen den Erbschein wurde mit Beschluss des Landgerichts Neuburg a.D. vom 30.Juni 22 und mit Beschluss des Obersten Landgerichts München vom 29.Juli 1922 als unbegründet verworfen. Auf Beschwerde wurde der ohne mündliche Verhandlung erlassene Beschluss aufgehoben und mündliche Verhandlung über den Antrag angeordnet. Die Verhandlung erübrigte sich auf Grund des unterm 29.Juli 1922 ergangenen Beschlusses des Obersten Landesgerichts München über die Rechtsgültigkeit des Erbscheins v.7.Juni 1922 Abschrift. Schrobenhausen, den 5.April 1922
Ersuchen an die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Schrobenhausen
I. In Bar:
a) in 5 M.Stücken 120.00 "
a) in 50 Pfg.Stücken 7.00 "
a) in 10 Pfg.Stücken 1.50 "
in Kriegsfünfpfennigstücken 1.90 " II. In Pfandbriefen:
Vermögensverzeichnis Auf dem Dachboden befinden sich: II. Die Mordtat und ihre näheren Umstände nach den bisherigen Erhebungen. 1. Das Anwesen von Hinterkaifeck, in welchem die Mordtat verübt wurde, ist im Jahre 1923 nach und nach abgebrochen worden, sodaß zurzeit gar nichts mehr vom Anwesen ersichtlich ist. Nur eine Gedenksäule gibt Kenntnis davon, daß an dieser Stelle die Mordtat verübt worden ist.
Das Anwesen bestand aus dem Wohnhaus und Stallgebäude, beide unter einem Dach, und der angebauten Scheune mit Futterkammer und Motorhütte und anstossendem Stadel –Maschinenhaus-, beide wiederum unter einem Dach und mit dem Stall durch eine Türe verbunden. Außerdem war noch eine freistehende Schupfe vorhanden (siehe Anwesens-Skizze). In den folgenden Tagen gingen verschiedene Personen am Anwesen vorbei und bemerkten wohl eine auffallende Ruhe auf dem Anwesen; es wurde aber von niemand Anlass genommen, sich im Anwesen umzusehen, da die Anwesensbewohner überhaupt sehr zurückgezogen lebten und mit niemanden eigentlich einen Verkehr hatten. Insbesonders galt der alte Gruber als geizig und menschenscheu. Am Dienstag, den 4.April 1922 kam im Laufe des Nachmittags der Monteur Hofner an das Anwesen, da er den Auftrag hatte, am Motor eine Reparatur vorzunehmen, er klopfte wiederholt und machte sich bemerklich; es ließ sich aber niemand sehen. In das Anwesen hineingegangen ist der Monteur nicht. Da er annehmen musste, dass die Bewohner vielleicht in dem nahen Holz seien, öffnete er die Motorhütte und nahm die Reparatur vor. Sodann entfernte er sich wieder und verständigte auf dem Rückweg über Gröbern die Töchter des Lorenz Schlittenbauer davon, dass er im Anwesen habe niemand treffen können, und trug ihnen auf, dem Anwesensbesitzers sagen zu lassen, dass der Motor in Ordnung gebracht sei. Es fiel nun auf, dass im Anwesen etwas nicht in Ordnung sein müsse, weil sich nichts rührte. Daher begab sich der Landwirt Lorenz Schlittenbauer mit Landwirt Jakob Sigl und dem Gütler Michael Pöll von Gröbern zum Anwesen. Sie drangen durch das äussere Tor des Maschinenhauses (d.i.der Stadel), in welchem sich die Futterschneid- und andere Maschinen befanden und von da in den an den Stall anstossenden Getreidestadel, d.h. die Tenne ein, wobei Sigl in der Ecke, wo die Motorhütte und die Türe zum Stall anstösst, über etwas stolperte. Bei Nachschau ergab sich, dass dies ein Haufen Heu sei, unter dem eine Holztüre lag; unter dieser Holztür lagen 4 Leichen, nämlich die des Andreas und der Zäzilia Gruber, der Viktoria Gabriel und der Zäzilia Gabriel. Im Stalle war ein Stück Vieh ledig. Während Sigl und Pöll, weil es ihnen graute, das Anwesen verliessen, drang Schlittenbauer von der Tenne aus durch die Türe in den Stall vor und von da aus in das Anwesen d.h. das Wohnhaus und sperrte die Haustüre auf, worauf Sigl und Pöll wieder eintraten. Schlittenbauer hatte beim weiteren Vordringen in das Haus die Bemerkung gemacht, er müsse noch suchen, wo sein Bub (das uneheliche Kind Josef Gruber der Viktoria Gabriel) sei. Sie fanden im Schlafzimmer in dem Kinderwagen, dessen Dach durchschlagen war, das Kind mit eingeschlagenem Kopfe vor. In der Kammer neben der Wohnstube und Küche fanden sie sodann die Leiche der Magd ebenfalls mit eingeschlagenem Schädel. Es wurde nun sofort die Gendarmerie verständigt. Noch am Dienstag, den 4.April 1922 nachts und am Mittwoch den 5.April 1922 fand sich sodann eine Gerichtskommission zur Augenscheinseinnahme ein. Bei der Augenscheinseinnahme wurde auch noch am 4.April 1922 im Futterbarren eine schwere Kreuzhacke gefunden, die aber keine Blutspuren trug, zumal sie vom Vieh beleckt worden ist. Ihre spätere Untersuchung ergab keine nachweisbaren Blutspuren. Auf dem Boden über dem Maschinenhaus lagerte Stroh, in welchem Vertiefungen ersichtlich waren, als wenn jemand im Stroh gelegen hätte. Von diesem Boden hing ein am Dachboden festgeknüpftes fingerdickes Seil in das Maschinenhaus herunter; diese sollte offenbar dazu dienen, daß man sich von dem oberen Boden in den unteren Raum des Stadels herablassen konnte.
Ein Zeuge, Michael Plöckl, der am Samstag, den 1.April morgens, sodann am gleichen Tag des Abends wieder am Hinterkaifeck Anwesen vorbeigegangen ist, will bemerkt haben, dass am Morgen die Backofentüre geschlossen, abends aber ungefähr halb offen war und dass am Abend der Kamin etwas geraucht haben soll; auch will er an dem Wald, der in der Nähe des Anwesens bis nahe an die Strasse geht, am Abend ein aufblitzendes Licht, wie etwa von einer Taschenlaterne kommend, bemerkt haben. Nach der Aufnahme der vorhandenen Fahrnis, Wertpapiere, Schmucksachen etc. lässt sich schwer feststellen, was den Tätern an Geld u. Wertsachen in die Hände gefallen ist. Nachdem noch ziemlich viel Gold- und Silbergeld, aber wenig Papiergeld vorhanden scheint den Dieben jedenfalls das in der Brieftasche vorhanden gewesene Papiergeld in die Hände gefallen zu sein. Nach dem Befund war in der Wohnung eigentlich nichts durchwühlt, mit Ausnahme des Schlafzimmer, wo der oder die Täter einige Zeit herumgesucht haben müssen; denn in dem einen der im Zimmer stehenden Betten lagen vom Oberbett verdeckt, mehrere Schlussnoten und sonstige beschriebene Papiere, ein Notizbuch, eine geleerte Brieftasche und eine Damenuhr. In der Räucherkammer, die sich auf dem Dachboden oberhalb der Küche befand, hingen noch 10 – 12 Stück Rauchfleisch; von einem war die Hälfte weggeschnitten; ob noch weitere ganze Stücke abgekommen sind, liess sich nicht feststellen, ist aber wohl möglich. Schlittenbauer hatte am 4.April 1922 abends nach Entdeckung der Mordtat noch das Vieh und den Hund gefüttert, da diese längere Zeit nicht gefüttert war, wie aus dem kläglichen Brüllen und dem Bellen und Winseln des Hundes zu entnehmen war. Nach dem Zustand der Leichen, nach ihrer Bekleidung muss wohl angenommen werden, dass die Tat um die Zeit des Schlafengehens der Inwohner verübt worden ist, namentlich liess dies die Bekleidung des Gruber und die Lage der Leiche der Magd Maria Baumgartner vor dem Bett, das sie offenbar eben abdecken wollte, als sie niedergeschlagen wurde, erkennen. Es dürfte anzunehmen sein, dass der Austrägler Gruber dadurch in den Stall gelockt wurde, dass ein Stück Vieh im Stall losgemacht wurde, dass er dann in der Stadeltenne vor Betreten des Stalles niedergeschlagen wurde und dass auf gleiche Weise die anderen Personen, deren Leichen in der Tenne gefunden wurden, ums Leben gebracht worden sind. Tatsächlich war, als die 3 Landwirte von Gröber am 4.4.1922 gegen abend in das Anwesen eindrangen, ein Stück Vieh nicht angekettet, bewegte sich vielmehr frei im Stalle. III Frage der Täterschaft Für den Verdacht gegen Schlittenbauer fehlt vor allem jeglicher Beweggrund zur Tat; auch spricht die Persönlichkeit des Schlittenbauer zwingend gegen den Verdacht. Wie aus der Vorgeschichte hervorgeht, stand Schlittenbauer zwar in intimen Beziehungen zu der Ermordeten Viktoria Gabriel; allein es war nicht an dem, dass er aus dem Geschlechtsverkehr unangenehme, namentlich ihn finanziell belastende Folgen für sich zu erwarten hatte. Er war damals noch ledig und hätte die Viktoria Gabriel geheiratet, wenn nicht deren Vater, der in blutschänderischem Verkehr mit ihr stand, dies verhindert hätte. Aus den Abmachungen über die Unterhaltsabfindung für das Kind Josef Gruber geht glatt hervor, dass Schlittenbauer ernstlich finanziell für das Kind gar nicht in Anspruch genommen werden wollte; vielmehr ist ihm sogar die Abfindungssumme von der Viktoria Gabriel und ihrem Vater selbst zur Verfügung gestellt worden, damit er über den Verdacht der Blutschande zwischen Andreas Gruber und der Viktoria Gabriel schwelge. Schlittenbauer hatte zudem damals bereits selbst ein Anwesen und hätte auf dieses damals schon heiraten können, wie er dies dann später im Mai 1921 getan hat. Auch wäre nicht auszudenken, wie er dazu hätte kommen sollen, auch das 2 1/2 jährige Kind im Wagen zu erschlagen. Schlittenbauer ist ein mittelmäßig situierter, gut beleumdeter Mann, dem eine solche schauderhafte Tat nicht im Entferntesten zuzutrauen ist. Daß er sich bei der Entdeckung der Tat wichtig gemacht hat, mag sein, es ist darüber auch in den Akten A 169/22 Bl. 59 eine diesbezügliche Bemerkung enthalten, jedoch bemerkt, dass jegliche Verdachtsgründe gegen Schlittenbauer fehlen und sein auffallendes Benehmen wohl mit der Erregung über die schauderhafte Tat, bei der auch sein eigenes uneheliches Kind ums Leben gekommen ist, zu erklären ist. Für die Annahme der Täterschaft der Familie Karl Gabriel von Laag fehlt auch der leiseste Verdachtsgrund. 2. Nach den Erhebungen muß mit aller Sicherheit mit Tätern, die von auswärts gekommen waren gerechnet werden, wobei nicht ausgeschlossen ist, daß die Täter in der Gegend bekannt sein konnten. Die Täter dürften in den Kreisen herumziehender Händler, Hausierer oder Schausteller, Korbmacher und ähnlicher, nach Zigeunerart herumziehender Personen zu suchen sein. Hierfür sprechen folgende Tatsachen: Schon bei der Augenscheinseinnahme wurde festgestellt, dass in dem Stroh über dem Maschinenhaus Spuren ersichtlich waren, als wenn dort Personen sich gelagert hätten. Auch zeigte sich, dass der Hof von zwei Stellen des Dachbodens aus, nämlich über dem Wohnhaus und über dem Maschinenhaus durch Luken, die mittels Verschiebens von Ziegel hergestellt waren, beobachtet ist. Auch ein Stück Rauchfleisch war angeschnitten. Fest steht, dass in dem Anwesen geraubt worden ist; einheimische ortskundige Täter, etwa gar Verwandte der Ermordeten, würden vermutlich im Anwesen besser Bescheid gewusst, die Geldverstecke vermutlich gekannt haben und kaum soviel Bargeld zurückgelassen haben. Dem steht nicht entgegen, dass das Mordwerkzeug versteckt wurde; es waren ja auch die Leichen in der Scheune neben dem Stall mit einer Holztüre und dann durch darübergebreitetes Heu versteckt. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass die Täter sich noch nach der Tat einige Zeit im Anwesen aufgehalten und das Vieh gefüttert haben, damit es nicht vorzeitig durch übermäßiges Brüllen verrate, dass niemand Lebender mehr im Anwesen sei. Will der Zeuge Plöckl doch sogar gesehen haben, dass am 1. April 1922 abends, also zu einer Zeit, zu welcher die Tat schon verübt sein musste, der Backofen geraucht hat. 3. Noch im Jahre 1922 tauchte der Verdacht auf, dass der ledige Bäcker Bärtl von Geisenfeld, der am 4. Juli aus der Heil- und Pflegeanstalt Günzburg, in welcher er zur Beobachtung seines Geisteszustandes untergebracht war, entsprungen ist, die Tat in Gemeinschaft mit dem vielgesuchten Räuber Alfons Gustav Philippi oder Philippe ausgeführt haben könnte. Bezüglich des Philippi wurde durch die Erhebungen festgestellt, dass er als Täter nicht in Betracht kommen könne. Nach Mitteilung der Heil- und Pflegeanstalt Waldheim in Sachsen war Philippe in der Zeit vom 20. Februar 1922 bis 15. April 1922 ununterbrochen in der Dresdener, später in der Waldheimer Heil- und Pflegeanstalt. Bezüglich des Bärtl wurde behauptet, dass er ausgewandert sei; nach neueren Erhebungen ist dies nicht richtig, vielmehr soll sich Bärtl in Südbayern und zwar meist in der Landshuter Gegend herumtreiben. Trotz vielfacher Bemühungen (Ausschreibungen mit Bild, Veranstaltung von Streifen, Belohnungsaussetzung) konnte er noch nicht dingfest gemacht werden. Der Händler Georg Seidl von Achdorf, eine vielfach vorbestrafte Persönlichkeit, ein pathologischer Lügner, lenke den Verdacht auf die Händler Georg und [[Personen: Fuchsbaumer Franz| Franz Fuchsbaumer]von Landshut. Die Erhebungen ergaben die völlige Grundlosigkeit dieser Beschuldigung und führten dazu, dass Seidl wegen falscher Anschuldigung zur Gefängnisstrafe von 3 Monaten verurteilt wurde, die er z. Zt. in der Strafanstalt Laufen verbüßt; Strafende 26.11.26. Seidl, der während seiner zeitweisen Inhaftierung im Landgerichtsgefängnis Regensburg dem dortigen Krim.Sekretär Kliegl verschiedene Angaben bezüglich angeblicher Mordtaten gemacht hat, die sich zum Teil als richtig, zum größten Teil als erfunden erwiesen, lenkte den Verdacht später auf den Händler Leonard Altstätter, Landshut und den Josef Bärtl. Im Laufe der verschiedenen Vernehmungen beschuldigte er auch noch einen gewissen Jaroslav Kellner, einen Freund und Wandergenossen des Bärtl; ebenso einen gewissen Reith und Beuschl, allerdings ohne sie eigentlich anzuzeigen. Bezüglich des Reith und Beuschl konnte einwandfrei festgestellt werden, dass sie als Täter nicht in Betracht kommen. Dringender ist der Verdacht gegen Josef Bärtl, zumal dieser Verdacht schon ohne Zutun des Seidl bestanden hatte. Auch dem Jaroslav Kellner, der ein herumziehender Dieb und Betrüger ist, könnte die Tat, oder die Teilnahme an dieser unbedenklich zugetraut werden, ebenso dem Händler Leonard Altstetter. Leonard Altstetter verbüßt zurzeit eine dreijährige Strafe wegen Körperverletzung in der Strafanstalt Laufen. Seidl hat sich wiederholt erboten, dem I. Staatsanwalt von Neuburg gegenüber Angaben zu machen; auch ein Händler Johann Mittermeier aus Simbach behauptete, Sachwissen zu haben und verlangt Einvernahme durch den I. Staatsanwalt. In der Zeit vom 1. – 3. Oktober 1926 wurden Seidl und der genannte Mittermeier, sowie einige weitere dortige Strafgefangene aus dem Kreis von Wandergewerbetreibenden eingehend vernommen und Altstetter wegen Verdachts der Teilnahme eingehend verhört. Mittermaier konnte belangreiches nicht angeben; was er wusste war der Staatsanwaltschaft längst bekannt. Er hat entweder Sachwissen verschwiegen, weil ihm schließlich Bedenken kamen, einer seiner Standesgenossen zu verraten, oder aber was näher liegt, er hat Sachwissen nur vorgetäuscht, in der Hoffnung, zum Zweck der Vernehmung in ein anderes Gefängnis überstellt zu werden. Seidl, der früher bezüglich Täterschaft des Bärtl und Altstetter behauptet hatte, dass diese um Neujahr 1923 selbst die Täterschaft unter ausführlicher Darstellung der Mordtat bei einem Trinkgelage in Neustadt a.d. Donau in der Behausung des Händlers Steindorfer eingestanden hätte und weiter behauptet hat, das Bärtl ihm schon, als er mit ihm vor Weihnachten 1922 in Landshut bekannt wurde, seine Beteiligung an dem Mord anvertraut habe, schwächte seine Angaben bei seiner Vernehmung, wie zu erwarten war, erheblich ab, insbesondere will er sich an die angebliche ausführliche Erzählung der Mordtat durch Altstetter und Bärtl nicht mehr erinnern, behauptet vielmehr, von diesen einzelne Äußerungen gehört zu heben, welche auf ihre Täterschaft bezüglich des Mordes in Kaifeck schließen lassen. Altstetter stellte selbstverständlich jegliche Beteiligung an dem Mord rundweg in Abrede und versuchte einen eingehenden Alibibeweis für die Zeit des Mordes zu erbringen. Erhebungen hiewegen sind noch im Gange. Den Angaben des Seidl könnte nun an sich nach den bisher mit ihn gemachten Erfahrungen keinerlei Bedeutung zugemessen werden. Er hat während seiner derzeitigen Strafverbüßung wiederholt andere kriminelle denunziert und insbesondere den Krim.Kom. Kliegl von Regensburg, der ihn gelegentlich in anderer Sache einvernahm, eine Anzeige gegen einen Mitgefangenen Schön eines angeblich im Jahre 1921 von diesem in Münchmünster begangenen Mordes erstattet. Die Erhebungen haben ergeben, dass Schön als Täter nicht in Betracht kommt und wird sich Seidl neuerdings wegen falscher Anschuldigung zu verantworten haben. Auf Seidls Angaben ist auch in Berlin gegen einen gewissen Schuhmann ein Strafverfahren anhängig geworden, zu welchem von der Staatsanwaltschaft Berlin die Akten gegen Seidl wegen falscher Anschuldigung erholt wurden. Vermutlich handelt es sich auch hier wieder um eine falsche Anschuldigung. Seidl wurde seinerzeit mit Rücksicht auf seine ungeheuerlichen Mordanzeigen auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Landshut auf seinen Geisteszustand untersucht und für zurechnungsfähig erklärt. Nun haben seine Angaben aber noch vor kurzem eine gewisse Bestätigung durch Mitteilung von anderer Seite erfahren. Der wegen Diebstahls im Zuchthaus befindliche Schlosser Anton Kloiber aus Sausmühle, BA Wolfstein, ist im Jahre 1922 mit einer Walburga Bengl, einem 20 jährigen Dienstmädchen als seiner Geliebten herumgezogen, wobei er seinen Unterhalt durch Diebstähle, insbesondere Fahrraddiebstähle bestritt. Im Jahre 1926 wurden beide aufgegriffen und Kloiber zu mehrjähriger Zuchthausstrafe verurteilt. Als dieser erfuhr, dass seine Geliebte bald darauf einen anderen geheiratet hatte, verfolgte er sie durch allerlei Anzeigen wegen angeblicher Kindstötung und dergleichen. Dies veranlasste schließlich die Walburga Bengl, nun verehelichte Heindl Arbeitersfrau in Regensburg, verschiedene Diebereien des Kloiber zur Anzeige zu bringen, wobei sie auch sich selbst belastete und sich wegen Hehlerei Gefängnisstrafen im Gesamtbetrag von 11 Monaten zuzog, die sie bis 13. Oktober 1926 verbüßt hat. Kloiber wurde wegen der Diebereien, welche die Heindl angezeigt hat, zu weiterer mehrjähriger Zuchthausstrafe verurteilt. Die Angaben der Heindl hatten sich im Wesentlichen überall bestätigt. Walburga Heindl erschien am 27. Oktober 1927 in Begleitung des Krim.Skr. Kliegl von Regensburg bei der Staatsanwaltschaft Neuburg und wurde vom I. Staatsanwalt eingehend vernommen. Sie gab u.a. an, dass gegen Ende März 1922 Kloiber und Bärtl, sowie Altstetter in Regensburg in einer Wirtschaft beisammen waren, woselbst ein Diebstahl oder Raub ausgemacht worden sei. Kloiber sei dann bald einige Tage abwesend gewesen und erst anfangs April 1922 wieder zurückgekommen. In der Folgezeit habe Kloiber über ziemlich viel Silbergeld, auch über verschiedene Schmuckgegenstände verfügt, einige Sachen habe er ihr geschenkt, einen Teil und insbesondere das Silbergeld habe sie in seinem Auftrag verkaufen müssen. Sie habe zwar damals sich wohl gedacht, dass diese Schmuckstücke und das Silbergeld von Diebstählen herrühre, aber noch keine Kenntnis davon gehabt, wo diese Beute erlangt worden sei. Im Juni 1922 seien sie in Zwistigkeiten geraten und habe sie sich von Kloiber trennen wollen; sie habe sich auch geweigert weitere derartige Sachen zu verkaufen; allein Kloiber habe sie nicht von sich gehen lassen und ihr gedroht, das er sie auch mit hineinbringe; denn die Sachen, die sie da verkauft habe seien in Hinterkaifeck geraubt worden. Die Trennung von Kloiber sei ihr erst nach ihrer beidseitigen Verhaftung anfangs 1923 gelungen. Kloiber habe ihr in der Zwischenzeit auch wiederholt nahegelegt nichts mehr gegen ihn auszusagen, namentlich von Hinterkaifeck zu schweigen. Die Walburga Bengl stammt allerdings aus demselben Gesellschaftskreis wie Kloiber, Bärtl, Seidl, Altstetter usw. sie kennt auch den Seidl und wusste das dieser sich gerühmt hatte, dass er den Krim.Komm. Kliegel „für den Narren halte“. Doch sind ihre Angaben nach der Art wie sie sie gemacht hat nicht als unglaubwürdig zu erachten, zumal bis jetzt sich alle ihre früheren Angaben sich vollständig bewahrheitet haben und Walburga Heindl insbesondere gegen sich selbst belastend ausgesagt hat und sich dadurch die erwähnte Strafe zugezogen hat. Es werden demnach zunächst die Angaben der Walburga Heindl über ihr Zusammenleben mit Kloiber und die Vorwürfe genau nachgeprüft werden müssen. Es mag bemerkt werden, dass sie bei Krim.Skr. Kliegl insbesondere noch eine Anzeige gegen Kloiber wegen Verbrechens wider das Leben gemacht hat; Kloiber soll in Regensburg einen Schutzmann durch einen Schuss schwer verletzt haben. Nach einer Zeitungsnotiz im Münchner Tagblatt soll Kloiber diese Tat zugestanden haben. Krim.Skr. Kliegl bestätigt auf fernmündliche Anfrage die Richtigkeit der Meldung. 4. Erhebungen bewegen sich auch noch in einer anderen Richtung. Vor wenigen Wochen wurde durch die Verrat der Geliebten eines gewissen Paul Blunder aus Neuschwätzingen (Donaumoos) bekannt, dass ein Raubüberfall der am 4. April 1922, also am Tag der Entdeckung des Kaifecker Mordes, in der Gegend von Pobenhausen unter ähnlichen Umständen wie der Kaifecker Mord verübt wurde, von Paul Blunder, Ludwig Blunder und einem gewissen Bork verübt worden sein soll. Der Verdacht fiel schon im Jahre 1922 auf die beiden Blunder; doch wurden sie nicht weiter verfolgt, da sie durch den Bork den Alibibeweis für die Zeit der Mordtat erbrachten. Bork und dessen Sohn haben nunmehr gestanden, dass die beiden Blunder damals nachts zu ihnen gekommen sind und verlangt haben, dass sie der Gendarmerie gegenüber bei Erhebungen angeben mussten, sie – die Blunder – seien abends um 8 Uhr herum längere Zeit bei ihnen – Bork – gewesen. Bork hat der Gendarmerie gegenüber anderntags diese Auskunft gegeben. Die Erhebungen zu diesem Raubmord sind noch nicht abgeschlossen. Dieser Fall legt nun die Annahme nahe, dass die beiden Blunder vielleicht auch dem Raubmord in Hinterkaifeck nicht fern stehen und dies umso mehr, als die Mitteilerin Horntasch auf Eid angegeben hat, dass ihr Paul Blunder eine eingehende Darstellung des Mordes gegeben, und ihr, als sie im Jahre 1925 an dem Platz vorübergingen, an dem das Hinterkaifecker Anwesen gestanden hat, das frühere Anwesen genau beschrieben habe, allerdings ohne anzudeuten, dass er etwa selbst beteiligt gewesen sei. 5. Es laufen von Zeit zu Zeit Anzeigen zum Teil anonym gegen irgendwelche Persönlichkeiten als des Mordes verdächtig ein, namentlich aus Gefangenenanstalten. Auch diesen Anzeigen werden, obwohl von vorneherein wenig Aussicht auf Erfolg versprechend, jeweils geprüft, damit nichts versäumt wird. Neuburg, den 6. November 1926 Der I. Staatsanwalt Gez. Pielmaier F.d.R.d.A. Huber
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