Dokumente: 1953 Ulrich Zusammenfassung zum Mordfall Hinterkaifeck

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Detailinformationen

Datum

nicht bekannt

Ort

nicht bekannt, vermutl. Augsburg

Art des Dokumentes

Zusammenfassung des Journalisten Heinz Ulrich, die "Im Rahmen einer für die Staatsanwaltschaft Augsburg vorgenommenen Vernehmung beim Amtsgericht München" "- sehr wahrscheinlich im Juli 1953 -" "zur Verfügung gestellt" wurde. *

Verfasser

Heinz Ulrich, Journalist

Verfasst für

Eigene Recherchen

Quelle

Internet *, Staatsarchiv Augsburg, 1 Js 244/51

Inhalt

"(...) Die so hoffnungsvoll aufgenommene Spur des Kaplans Anton Hauber erwies sich als Weg in die Irre. Aber dadurch dass die Voraussetzungen für diese Spur wegfielen, war es uns möglich, eine andere, die wir im vergangenen Jahr liegen lassen mussten, weil sie sich nicht mit der Kaplan Haubers deckte, wieder aufzunehen. Wir hatten in Verdacht den nächsten Nachbarn der Hinterkaifecker, den Ortsführer von Gröbern, dem 500 Meter entfernten Weiler, Lorenz Schlittenbauer, als Täter, seinen Sohn Hans Schlittenbauer, der damals 15 Jahre alt war, als Mitwisser und in gewisser Weise auch als Mittäter. Dieser Verdacht hatte aber keine Stütze durch die Behauptungen der Frau Meier, geb. Gump, die angegeben hatte, die Mörder wohnten in Augsburg und sie wären noch niemals verhaftet gewesen.
.....
Wir haben die Punkte, die gegen Schlittenbauer sprechen noch einmal von Zeugen erhärten lassen. Dies sind der Landwirt Jakob Siegl, der vor der Rache der Schlittenbauers aus Gröbern fortziehen musste, weil er seinerzeit gegen Lorenz Schlittenbauer ausgesagt hat. Ferner der Gemeindeschreiber Dersch. Der Mechaniker Hofer, der noch nach dem Mord auf dem Hof gearbeitet hat.

1.
Es ist unwahrscheinlich, dass ein Mörder, es sei denn, dass er ganz in der Nähe wohnte und Gelegenheit hatte, ab und zu unbemerkt hinüberzuschlüpfen, noch Tage nach seiner Tat im Mordhaus verweilt, um das Vieh zu füttern. Dass das Vieh gefüttert wurde, ist bewiesen.


2.
Lorenz Schlittenbauer wurde von Jakob Sigl nach Entdeckung der Tat auf sein Verlangen allein im Mordhaus zurückgelassen, weil er angab, das Vieh füttern zu müssen, das ihn weit mehr interessierte, als die erschlagenen Nachbarn.
Er wurde von dem Gemeindeschreiber Dersch etwas später auch angetroffen, wie er allein in der dunklen Scheune herumwirtschaftete.

3.
Der Schlüssel zum Haus war am Tage zuvor von dem alten Gruber vermisst worden. Jakob Siegl hatte ihn dabei getroffen wie er den Schlüssel suchte und von Spuren sprach, die um sein Haus herumliefen. Angebotene Hilfe lehnte Gruber ab. Am Tag der Entdeckung des Mordes waren Lorenz Schlittenbauer, Jakob Siegl und ein dritter Nachbar, Pölt [sic!], der inzwischen verstorben ist, zum Mordhaus hinaufgegangen. Schlittenbauer kannte sich genau auf dem Hof aus. Er ging sofort durch die Scheune, deren Tür offen stand, und durch den Stall ins Haus, dessen Tür er mit dem Schlüssel, der fünf Tage vorher gefehlt hatte, aufschloss. Zur Rede gestellt, behauptete er, der Schlüssel habe über der Tür an seinem Platz gelegen.

4.
Schlittenbauer war auf diesem Weg im Halbdunkel an den Leichen, die übereinander an der Verbindungstür zwischen Stall und Scheune lagen, vorbeigegangen, ohne sie zu sehen oder etwas von ihnen zu merken, obwohl der Gang zwischen Wand und Heu so schmal war, dass er zwangsläufig über die Hand der Vik- toria Gabriel hätte stolpern müssen .... ausser er hätte etwas davon gewusst.

5.
Schlittenbauer war in der fraglichen Zeit, dem 31.3., dem 1. 2. und 3. April für keinen Nachbarn zu sprechen. Wenn man auf seinen Hof kam, hiess es: "Der Vater ist auf dem Heuboden. Er passt auf Diebe." Auch sein Sohn Hans war in diesen Tagen nicht aufzufinden.

6.
Im Mordhaus ging Schlittenbauer zuerst in das Zimmer, wo der kleine Josef lag, für den er vor drei Jahren die Vaterschaft anerkannt hatte und sagte: "Mein armer Bub ist auch hin." Darauf zündete er zwei Kerzen an, die er mitgebracht hatte und stellte sie neben den Kinderwagen, in dem der Kleine mit zertrümmertem Schädel lag. Wichtig hierbei ist, dass Schlittenbauer überhaupt nicht der Vater des Kindes war. Der alte Gruber hatte es in einem langdauernden blutschänderischen Verhältnis mit seiner Tochter gezeugt. Schlittenbauer hatte die Vaterschaft lediglich für 1000 Mark Vergütung anerkannt. An die Viktoria Gabriel kam kein anderer ran. Der alte Gruber paßte auf wie ein [Anm.: durchgestrichen ist "Schiesshund"] Othello.

7.
Als Jakob Siegl den Lorenz Schlittenbauer wegen des verlorenen und angeblich wieder aufgetauchten Schlüssels zur Rede stellte, zeigte dieser ihn an. Siegl wurde zu einer kleinen Geldstrafe wegen Verleumdung verurteilt. Als der andere Nachbar Pölt [sic!] ihm in der Öffentlichkeit ins Gesicht schrie: "Die hat niemand anders erschlagen als du!" zeigte Lorenz Schlittenbauer diesen nicht an, weil er zuviel wusste.

8.
Die Familie [...] besteht aus psychopathischen Menschen mit schlechtem Erbgut. Obwohl sie wirtschaftlich am besten situiert sind, finden sich Diebe und Einbrecher unter ihnen.

9.
Ausspruch des Lorenz Schlittenbauer auf die Meldung des Briefträgers, das Vieh rühre sich so und kein Mensch sei auf Hinterkaifeck zu sehen: "Entweder haben sie die aufgehängt oder alle erschlagen."

10.
Es ist nicht anzunehmen, dass Hausierer, Hamsterer, Korbflechter und dergleichen Leute, wenn sie auch ab und zu auf den Hof kamen, wirkliche Kenntnisse von den Lokalitäten gewinnen konnten. Der alte Gruber galt als menschenscheu. Das Haus war immer verschlossen, was auf dem Lande ungewöhnlich ist.
Der einzige, der sich in Haus und Hof auskannte, wie die Bewohner selbst, war Lorenz Schlittenbauer.

11.
Der Mörder muß bekannt gewesen sein auf dem Hof. Der Hund hat ihn ja nicht gemeldet. Auf dem Heuboden wurden zwei im Heu eingesessene Stellen gefunden, woraus man schloss, dass es sich um zwei Mörder handle. Unterstützt sollte das angeblich dadurch werden, dass man zwei Dachziegel aufgestellt fand, die den beiden Verbrechern dazu gedient haben sollen, nach anderen Besuchern des Hauses auszuspähen. Verständlich wird diese Sache aber erst dann, wenn man an eine Blickverbindung zum Dach des nächsten sichtbaren Hofes denkt. Das war der Schlittenbauers.

12.
Schlittenbauer ist seinerzeit nicht so vernommen worden, wie es richtig gewesen wäre. Es steht fest, dass der untersuchende Kriminalbeamte von der Münchener Mordkommission Rauchfleisch von ihm angenommen hat. Der Staatsanwalt Renner wiederum hat erklärt, es sei unmöglich, dass Lorenz Schlittenbauer der Mörder sein könnte: "Kein Vater bringt es übers Herz, sein Kind so bestialisch zuzurichten. Das hätte er bestimmt geschont." (Schon um sich in besonderen Verdacht zu bringen) Es ist nicht notwendig, auf die Naivität dieser Gründe einzugehen, da ja Schlittenbauer gar nicht der Vater des Kindes war. Gerade dieses Kind muß er ja besonders gehasst haben. Zur Rückversicherung, falls es vielleicht doch sein Kind sein konnte, die Kerzen.

13.
Zuletzt kommt die Frage nach dem Motiv. Weder Eifersucht noch Raublust hätten ein solches Verbrechen zustande gebracht. Der Mord war genauestens vorbereitet, von jemand, der genau Bescheid wusste im Haus, zu einer Zeit, als Regen oder Schnee bevorstand, der die Spuren beseitigen konnte, was dann auch eintraf. Das Wichtigste wurde bisher nicht erwähnt: Es fehlte weder Geld noch Geldeswert in dem Haus. Zwei Töpfe mit Gold und Silbermünzen waren in der Zeit der Inflation ein solcher Schatz, dass jeder Verbrecher diese Gelegenheit ergriffen hätte, es sei denn, er habe aus "ehrenhaften" Motiven gehandelt.
Man kann nicht erwidern, die Mörder hätten vielleicht in Hast gehandelt und diese Töpfe übersehen, denn sie haben ja noch drei Tage nach dem Mord das Vieh gefüttert. Um die Menschen und ihre Güter hat man sich nicht gekümmert. Auch das spricht dafür, dass sich die Mörder nicht drei Tage im Haus aufgehalten haben, sondern dass das Vieh von jemand gefüttert wurde, der ein oder zweimal am Tage extra deswegen hinging. Wagen konnte das nur jemand, der in dieser Gegend absolut unverdächtig war, ein Nachbar.
Sechs Menschen einen nach dem andern abzuschlachten wie es hier geschah, ohne dass sich nicht das Gewissen regen würde, dass der Plan nicht Fehler bekommen würde, das ist nur möglich, wenn sich der Täter im Recht glaubt, dann also, wenn persönliche Rache im Spiel ist.
.....
Wir wissen von Schlittenbauer, dass er gedroht hat: "Ich zeige den Alten an. Jetzt kommt er mir wegen Blutschande dran. Dem brock ich es ein, dass er gleich drin bleibt." Trotzdem hat er nachher die Vaterschaft anerkannt und damit seine bereits vollzogene Anzeige selber ad absurdum geführt, sodass der alte Gruber freikam. Die tausend Mark, die Schlittenbauer dafür bekam, musste er damals an die Gerichtskasse zahlen. Er hatte daran keinen Verdienst. Warum also tat er es trotzdem? Er hatte sich wieder mal einseifen lassen. Man hatte ihm Viktoria versprochen, aber der alte Gruber hatte seine Tochter dann doch nicht hergeben wollen. Wenn wir in Lorenz Schlittenbauer den Rächer seiner Ehre und darüber hinaus den Rächer, der diese Sippschaft der Schande auslöschte, sehen wollen, dann haben wir ein stichhaltiges Motiv und einen Mörder, der fähig ist, dieses ganze Blut zu vergiessen. Ein Mann, der im Recht ist, wenn er einen anderen tötet, braucht diese Tat auch nicht zu beichten. Sie bedrückt ihn ja nicht.
Im Gegenteil, der fühlt sich als Held.
(...)

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