Zeitungsartikel: 1953-05-06 Weltbild: Unterschied zwischen den Versionen

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'''''Sie nennen mich Mörder ohne den Schatten eines Beweises!'''''
'''''Sie nennen mich Mörder ohne den Schatten eines Beweises!'''''
== Detailinformationen ==
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=== Datum ===
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06.Mai 1953
06. Mai 1953
 
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Weltbild
Weltbild
== Inhalt ==
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Ein hinter die Kirche geducktes Haus, grau, mit langen Reihen kleiner Fenster. Ein Scheunentor führt hinein. Wo wohnt Herr Gump? Eine Frau deutet zu einer schmalen eisernen Treppe hinüber. "Da oben!" Lüstern, neugierig schaut sie uns an. "Ich hab es in der Zeitung gelesen", sagt sie, "der Frau soll es sein, sagen die Leute..." Die eiserne Treppe wankt unter unserm Gewicht. Dann lesen wir an der Tür: Gump!
[[Datei:AmStein1953.jpg|thumb]]
 
„Dort geht der Mörder!” raunen die Leute auf der Straße und drehen sich nach ihm um. Fünf Jahre war er im Außendienst des Wohnungsamtes tätig. Jeder zweite kennt ihn daher in der kleinen Stadt.
Wir sind aufgeregt. Wir besuchen ja in dieser bayerischen [[Ingolstadt|Kleinstadt]] einen Mörder. "Eine Bestie in Menschengestalt", hat ihn eine Zeitung genannt. Sechs Menschen sind damals, am 31. März 1922, erschlagen worden. [[Hinterkaifeck|Hinterkaifeck]], das war ein Einödshof, fünfhundert Meter vom nächsten Dorf weg, zwischen Augsburg und Ingolstadt. Der Bauer [[Personen: Gruber Andreas|Gruber]] hauste darin mit seiner Familie, [[Familie Gruber|seltsame]], abweisende, etwas verrufene Leute. Die zwei Kinder auf dem Hof waren in [[Sachverhalte: Strafprozess wegen Blutschande gegen Andreas Gruber und Viktoria Gabriel 1915|Blutschande]] gezeugt. Aber Geld hatten die Leute, [[Sachverhalte: Vor der Tat vorhandenes Geld|viel Geld]], in Papier, Silber und Gold. Und davon fehlte nichts, gar nichts, als man den Mord entdeckte. Die Leichen des alten Bauern und seiner [[Personen: Gruber Cäzilia|Frau]], der Tochter [[Personen: Gabriel Viktoria|Viktoria]] und der siebenjährigen [[Personen: Gabriel Cäzilia|Cäcilie]] lagen in der [[Sachverhalte: Die 5 Tatortbilder|Scheune]] neben der Stalltür. Alle mit einer [[Sachverhalte: Reuthaue|Hacke]] erschlagen. Dem kleinen [[Personen: Gruber Josef|Josef]], dreijährig, war durch das Dach des Kinderwagens der Schädel zertrümmert worden, die [[Personen: Baumgartner Maria|Magd]] lag tot in ihrer Kammer.
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Die grauenvolle Bluttat auf dem bayerischen Einödhof Hinterkaifeck — sechs Menschen erschlagen, eine ganze Familie ausgerottet — ist seit dreißig Jahren ungesühnt und rätselhaft geblieben. WELTBILD —Reporter suchten im vorigen Jahr (Weltbild Nr. 7/1952) einen Priester auf, dem eine Frau auf dem Totenbett anvertraut hatte, dass ihre beiden Brüder die Mörder gewesen seien. Die Staatsanwaltschaft griff ein und verhaftete den überlebenden Bruder. Und jetzt melden Rundfunk und Presse: Endlich der Mörder gefunden, aber wegen Verjährung der Tat in Freiheit gesetzt! Unsere Reporter G. Gronefeld und H. Ulrich haben mit jenem Mann gesprochen, der wegen des furchtbaren Verbrechens über Nacht zum Geächteten wurde. <br><br>
Es fehlte kein [[Sachverhalte: Nach der Tat vorhandenes Geld|Geld]], es fehlten nur geräuchertes Fleisch und Eier. Aus einer Brieftasche wurde etwas genommen, sonst war nichts durchwühlt. Und wie [[Sachverhalte: Tatort|merkwürdig]]: das Vieh wurde die drei Tage nach das Mordtat immer gefüttert.
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[[Datei:Anton Gump WB 1953.PNG|thumb|Anton Gump]]
<b>Sie nennen mich Mörder</b><br>
Ohne den Schatten eines Beweises! <br>
„Ich bin unschuldig!" beteuert Anton Gump, der 65 jährige Rentner, der wochenlang in Untersuchungshaft schwersten Verhören unterzogen wurde. „Ich habe mein ganzes Leben ehrlich gearbeitet. Wenn meine Schwester wirklich mich und meinen toten Bruder Adolf mit ihrer Bezichtigung gemeint haben sollte, so kann ich nur sagen: Mit meinem Bruder war sie verfeindet, und ich habe sie seit meinem 13. Lebensjahr ganze zweimal gesehen. Wie konnte sie zu einer solch furchtbarer Anschuldigung kommen."<br>
[[Datei:Ehepaar Gump 1953.jpg|thumb|Ehepaar Gump]]
<b>Wie ein Blitzschlag</b> trifft dieses Ehepaar die Rundfunkmeldung, man habe den Mörder von Hinterkaifeck. „Auf Silvester, beim Halmaspielen, hören wir es. Wir atmen beide auf. Gott sei Dank! ruf ' ich aus. Da merke ich entsetzt: Ich selber bin ja gemeint!" Ein hinter die Kirche geducktes Haus, grau, mit langen Reihen kleiner Fenster. Ein Scheunentor führt hinein. Wo wohnt Herr Gump? Eine Frau deutet zu einer schmalen eisernen Treppe hinüber. „Da oben!" Lüstern, neugierig schaut sie uns an. „Ich hab es in der Zeitung gelesen", sagt sie, „der Frau soll es sein, sagen die Leute . . ." Die eiserne Treppe wankt unter unserm Gewicht. Dann lesen wir an der Tür: Gump!<br>
Wir sind aufgeregt. Wir besuchen ja in dieser bayerischen Kleinstadt einen Mörder.<br><br><br>
[[Datei:Herr Leykam WB 1953.PNG|thumb|Herr Leykam]]
<b>Zwölf Jahre lang,</b> schon 1922, habe ich in der Fabrik neben Gump Anton gesessen", sagt Herr Leykam, ein Arbeitskollege. „Da lernt man einen Menschen kennen. Er war immer vergnügt. Hab' nie was bemerkt. Für den leg ich meine Hand ins Feuer!"<br><br><br>
[[Datei:Bauer Thoma Schönbichl.PNG|thumb|Bauer Thoma]]
<b>„Die größten Räusche</b>haben wir miteinander gehabt", erzählt der Bauer Thoma in Schönbichl vom verstorbenen Adolf Gump, der viele Jahre bei ihm gewohnt hat. „Nie was Verdächtiges gehört. Im Rausch hätte er bestimmt nicht den Mund gehalten."<br><br><br>
[[Datei:Johann Liebl Augsburg.PNG|thumb|Johann Liebl]]
<b>„Hören sie mir auf</b>mit dem Totenbettgeständnis!" Gumps Schwager Herr Liebl, war vor dem Krieg in Amerika und las dort Briefe der Verstorbenen an einen Onkel. „Sie strotzten nur so von Verleumdungen. Wie kann man diese Person ernst nehmen!"<br>
"Eine Bestie in Menschengestalt", hat ihn eine Zeitung genannt. Sechs Menschen sind damals, am 31. März 1922, erschlagen worden. [[Hinterkaifeck|Hinterkaifeck]], das war ein Einödshof, fünfhundert Meter vom nächsten Dorf weg, zwischen Augsburg und Ingolstadt. Der Bauer [[Personen: Gruber Andreas|Gruber]] hauste darin mit seiner Familie, [[Familie Gruber|seltsame]], abweisende, etwas verrufene Leute. Die zwei Kinder auf dem Hof waren in [[Sachverhalte: Strafprozess wegen Blutschande gegen Andreas Gruber und Viktoria Gabriel 1915|Blutschande]] gezeugt. Aber Geld hatten die Leute, [[Sachverhalte: Vor der Tat vorhandenes Geld|viel Geld]], in Papier, Silber und Gold. Und davon fehlte nichts, gar nichts, als man den Mord entdeckte. Die Leichen des alten Bauern und seiner [[Personen: Gruber Cäzilia|Frau]], der Tochter [[Personen: Gabriel Viktoria|Viktoria]] und der siebenjährigen [[Personen: Gabriel Cäzilia|Cäcilie]] lagen in der [[Sachverhalte: Die 5 Tatortbilder|Scheune]] neben der Stalltür. Alle mit einer [[Sachverhalte: Reuthaue|Hacke]] erschlagen. Dem kleinen [[Personen: Gruber Josef|Josef]], dreijährig, war durch das Dach des Kinderwagens der Schädel zertrümmert worden, die [[Personen: Baumgartner Maria|Magd]] lag tot in ihrer Kammer.<br>Es fehlte kein [[Sachverhalte: Nach der Tat vorhandenes Geld|Geld]], es fehlten nur geräuchertes Fleisch und Eier. Aus einer Brieftasche wurde etwas genommen, sonst war nichts durchwühlt. Und wie [[Sachverhalte: Tatort|merkwürdig]]: das Vieh wurde die drei Tage nach das Mordtat immer gefüttert.


Aus zwei Liegeplätzen im Heu schloß man auf zwei Mörder. Zahlreiche [[Tatverdächtige|Verdächtige]] wurden verhaftet, aber weil das Verbrechen erst an vierten Tage entdeckt wurde und frischer Schneefall [[Sachverhalte: Vorkommnisse vor der Tat|Spuren]] verwischte, versagten selbst die Hunde der Polizei. Haß und Rache tobten sich alsbald in der Gegend aus. Eine [[Personen: Pfleger Maria jun.|Tochter]] zeigte ihren [[Personen: Pfleger Josef|Vater]] an, er sei der Mörder von Hinterkaifeck, und der alte Mann saß drei Monate, bis sich seine Unschuld herausstellte.
Aus zwei Liegeplätzen im Heu schloß man auf zwei Mörder. Zahlreiche [[Sonstiges: Tatverdächtige|Verdächtige]] wurden verhaftet, aber weil das Verbrechen erst an vierten Tage entdeckt wurde und frischer Schneefall [[Sachverhalte: Vorkommnisse vor der Tat|Spuren]] verwischte, versagten selbst die Hunde der Polizei. Haß und Rache tobten sich alsbald in der Gegend aus. Eine [[Personen: Pfleger Maria jun.|Tochter]] zeigte ihren [[Personen: Pfleger Josef|Vater]] an, er sei der Mörder von Hinterkaifeck, und der alte Mann saß drei Monate, bis sich seine Unschuld herausstellte.


Der [[Ermittler: Popp Andreas Dr.|Staatsanwalt]] hat uns vor Gump gewarnt: "Das ist ein versierter Mensch. Der kennt sich aus. Der wird Sie in Grund und Boden reden!" Das kann man sich vorstellen bei einem Mann, der sechs Menschen erschlug und diese Tat dreißig Jahre in seinem Innern verbarg.
Der [[Ermittler: Popp Andreas Dr.|Staatsanwalt]] hat uns vor Gump gewarnt: "Das ist ein versierter Mensch. Der kennt sich aus. Der wird Sie in Grund und Boden reden!" Das kann man sich vorstellen bei einem Mann, der sechs Menschen erschlug und diese Tat dreißig Jahre in seinem Innern verbarg.
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Wir zeigen ihm die "Warnung", die er selbst in der Zeitung veröffentlicht hatte: "Im Zusammenhang mit der Mordtat von Hinterkaifeck und den diesbezüglichen Presseberichten wurde in Ingolstadt und auswärts mein Name genannt. Ich werde jeden gerichtlich belangen, der mich mit der genannten Tat mündlich oder schriftlich in irgendeine Verbindung bringt. Ich bin mir keinerlei Schild bewusst und werde versuchen, auf dem Prozesswege meine Unschuld zu beweisen."
Wir zeigen ihm die "Warnung", die er selbst in der Zeitung veröffentlicht hatte: "Im Zusammenhang mit der Mordtat von Hinterkaifeck und den diesbezüglichen Presseberichten wurde in Ingolstadt und auswärts mein Name genannt. Ich werde jeden gerichtlich belangen, der mich mit der genannten Tat mündlich oder schriftlich in irgendeine Verbindung bringt. Ich bin mir keinerlei Schild bewusst und werde versuchen, auf dem Prozesswege meine Unschuld zu beweisen."
Gump spricht stockend, er sucht nach Worten, es fällt ihm schwer, fließend zu reden. Seine Worte sind einfach, vom Augenblick eingegeben, nicht vorbedacht. Dieser Mann soll "versiert" sein? Wir verstehen den Staatsanwalt nicht.
Gump spricht stockend, er sucht nach Worten, es fällt ihm schwer, fließend zu reden. Seine Worte sind einfach, vom Augenblick eingegeben, nicht vorbedacht. Dieser Mann soll "versiert" sein? Wir verstehen den Staatsanwalt nicht.


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Da erscheint in der Zeitung seiner Stadt ein Artikel, in dem Gump, zunächst noch ohne Namen, des Mordes bezichtigt wird. Drei Tage später bestellt ihn dieselbe Zeitung auf ihre Redaktion, durch einen Brief, in dem steht:"... daß in den nächsten Tagen mit Wahrscheinlichkeit Ihr Name in Zusammenhang mit der Affäre Hinterkaifeck durch die Presse gehen wird ... wir wollen Ihnen Vorschläge machen, um dies zu vermeiden."
Da erscheint in der Zeitung seiner Stadt ein Artikel, in dem Gump, zunächst noch ohne Namen, des Mordes bezichtigt wird. Drei Tage später bestellt ihn dieselbe Zeitung auf ihre Redaktion, durch einen Brief, in dem steht:"... daß in den nächsten Tagen mit Wahrscheinlichkeit Ihr Name in Zusammenhang mit der Affäre Hinterkaifeck durch die Presse gehen wird ... wir wollen Ihnen Vorschläge machen, um dies zu vermeiden."


Gump geht geängstigt hin. Man fordert von ihm, er solle eine Warnung in die Zeitung setzen, um sich gegen böse Zungen zu wehren. Er weigert sich. Da läßt man ihn selbst ein Telefongespräch führen, aus dem er glaubt entnehmen zu müssen, auch in [[Pfaffenhofen]] werde sein Name in Verbindung mit Hinterkaifeck genannt. Darauf gibt er, ganz verstört, seine Einwilligung zu der Warnung, die als kostenloses Inserat am nächsten Tage erscheint. Form und Inhalt der Warnung setzt ihm die Redaktion auf. Der Rechtsanwalt, zu dem er nachher geht, weil man ihm in der Redaktion auch noch, ohne ihn zu fragen, fotografiert hat, fragt entsetzt:<br>
Gump geht geängstigt hin. Man fordert von ihm, er solle eine Warnung in die Zeitung setzen, um sich gegen böse Zungen zu wehren. Er weigert sich. Da läßt man ihn selbst ein Telefongespräch führen, aus dem er glaubt entnehmen zu müssen, auch in [[Orte: Pfaffenhofen|Pfaffenhofen]] werde sein Name in Verbindung mit Hinterkaifeck genannt. Darauf gibt er, ganz verstört, seine Einwilligung zu der Warnung, die als kostenloses Inserat am nächsten Tage erscheint. Form und Inhalt der Warnung setzt ihm die Redaktion auf. Der Rechtsanwalt, zu dem er nachher geht, weil man ihm in der Redaktion auch noch, ohne ihn zu fragen, fotografiert hat, fragt entsetzt:<br>
"Wie konnten Sie so was zulassen? Wissen Sie nicht, was das in den Augen der Leser bedeutet? Sie haben sich selbst gleichsam des Mordes bezichtigt."
"Wie konnten Sie so was zulassen? Wissen Sie nicht, was das in den Augen der Leser bedeutet? Sie haben sich selbst gleichsam des Mordes bezichtigt."


Die Frau tritt neben ihren Mann. Ihr Gesicht ist vom Weinen gerötet! "Mein Toni ist kein Mörder!" Sie klammert sich an ihn. Er greift sich mit der Hand an die Brust. Hilflos und schmerzlich ist sein Blick auf uns gerichtet.<br>
Die Frau tritt neben ihren Mann. Ihr Gesicht ist vom Weinen gerötet! "Mein Toni ist kein Mörder!" Sie klammert sich an ihn. Er greift sich mit der Hand an die Brust. Hilflos und schmerzlich ist sein Blick auf uns gerichtet.<br>
"Ich bin unschuldig", sagt er in einem Ton der so wahr und echt klingt, daß es uns erschüttert. "Ich habe überhaupt nichts mit der ganzen Sache zu tun."<br>
"Ich bin unschuldig", sagt er in einem Ton der so wahr und echt klingt, daß es uns erschüttert. "Ich habe überhaupt nichts mit der ganzen Sache zu tun."<br>
"Wir sind jetzt dreiunddreißig Jahre verheiratet", sagt Frau Gump. "Damals ist er in die 'Deutschen Werke eingetreten und hat fünfundzwanzig Jahre dort gearbeitet. Immer im Akkord. Er kam abends müde nach Hause und hat sich gleich hingelegt. Der hatte keine Zeit, um Leute umzubringen. Und damals sind wir jung verheiratet gewesen. Ich war krank. Ich bin sehr viel krank gewesen. Ich kann mir keinen besseren Mann als Toni vorstellen. So geduldig hat er mich gepflegt. Glaube Sie, eine Frau hätte das nicht in dreiunddreißig ihrer Ehe herausbekommen, ob ihr Mann ein Mörder ist oder nicht?"
"Wir sind jetzt dreiunddreißig Jahre verheiratet", sagt Frau Gump. "Damals ist er in die 'Deutschen Werke eingetreten und hat fünfundzwanzig Jahre dort gearbeitet. Immer im Akkord. Er kam abends müde nach Hause und hat sich gleich hingelegt. Der hatte keine Zeit, um Leute umzubringen. Und damals sind wir jung verheiratet gewesen. Ich war krank. Ich bin sehr viel krank gewesen. Ich kann mir keinen besseren Mann als Toni vorstellen. So geduldig hat er mich gepflegt. Glaube Sie, eine Frau hätte das nicht in dreiunddreißig ihrer Ehe herausbekommen, ob ihr Mann ein Mörder ist oder nicht?"<br>
 
[[Datei:Sargbild Weltbild 1953.jpg|thumb|Ausschnitt in der Zeitung mit Sarg-und Hoffoto]]


'''''Im Kreuzverhör'''''<br>
'''''Im Kreuzverhör'''''<br>
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Bei dem Bauern Thoma in Schönbichl sind wir zuerst. Dort hat der andere Bruder gewohnt, [[Personen: Gump Adolf|Adolf Gump]], von dem es heißt, daß er von erbitterten Kriegsgefangenen, die er brutal gequält haben soll, erschlagen wurde. Aber hier ist nur was von einem Fahrradunfall bekannt. Man stellt ihm das beste Zeugnis aus. Er sei ein großer "Militarist" gewesen, aber sonst eine "Seele von Mensch". Die [[Personen: Gump Salome|Witwe]] legt uns später den Totenschein ihres Mannes vor. Es wird darauf bestätigt, daß Gump eines natürlichen Todes gestorben ist. Dieses Dokument befindet sich anscheinend nicht in den Akten des Staatsanwalts.
Bei dem Bauern Thoma in Schönbichl sind wir zuerst. Dort hat der andere Bruder gewohnt, [[Personen: Gump Adolf|Adolf Gump]], von dem es heißt, daß er von erbitterten Kriegsgefangenen, die er brutal gequält haben soll, erschlagen wurde. Aber hier ist nur was von einem Fahrradunfall bekannt. Man stellt ihm das beste Zeugnis aus. Er sei ein großer "Militarist" gewesen, aber sonst eine "Seele von Mensch". Die [[Personen: Gump Salome|Witwe]] legt uns später den Totenschein ihres Mannes vor. Es wird darauf bestätigt, daß Gump eines natürlichen Todes gestorben ist. Dieses Dokument befindet sich anscheinend nicht in den Akten des Staatsanwalts.


Der alte Thoma erzählt uns, wie die Creszentia Meier 1938 ihren sterbenden [[Personen: Gump Anton sen.|Vater]] dazu gebracht hat, vor seinem Tode zu ihr zu ziehen. "Einmal ist sie hier gewesen. Im Gasthaus hat sie gewohnt. Es war ihr nicht fein genug hier bei uns. Dem alten Gump hat sie gesagt, sie würde ihn Pflegen wie ihren Augapfel. Er hat nicht recht gewollt. Dann hat sie heimlich Briefe an ihren Vater geschrieben. Ich weiß nicht, was sie geschrieben hat. Was Gutes wird es nicht gewesen sein. Denn der Vater ist wirklich mißtrauisch geworden auf uns. Und auf den Adolf. Eines Tages hat er seine Sachen zusammengepackt und ist nach Augsburg gefahren. Ich weiß dann nicht mehr viel. Bloß daß die Centa den Vater für hundert Mark an die Anatomie in München verkaufen wollte. Meine Tochter, die ihn nach [[Augsburg]] gebracht hat, die hat sie verdächtigt, ihn bestohlen zu haben."<br>
Der alte Thoma erzählt uns, wie die Creszentia Meier 1938 ihren sterbenden [[Personen: Gump Anton sen.|Vater]] dazu gebracht hat, vor seinem Tode zu ihr zu ziehen. "Einmal ist sie hier gewesen. Im Gasthaus hat sie gewohnt. Es war ihr nicht fein genug hier bei uns. Dem alten Gump hat sie gesagt, sie würde ihn Pflegen wie ihren Augapfel. Er hat nicht recht gewollt. Dann hat sie heimlich Briefe an ihren Vater geschrieben. Ich weiß nicht, was sie geschrieben hat. Was Gutes wird es nicht gewesen sein. Denn der Vater ist wirklich mißtrauisch geworden auf uns. Und auf den Adolf. Eines Tages hat er seine Sachen zusammengepackt und ist nach Augsburg gefahren. Ich weiß dann nicht mehr viel. Bloß daß die Centa den Vater für hundert Mark an die Anatomie in [[Orte: München|München]] verkaufen wollte. Meine Tochter, die ihn nach [[Orte: Augsburg|Augsburg]] gebracht hat, die hat sie verdächtigt, ihn bestohlen zu haben."<br>
Wir erreiche Augsburg. Gump sitzt jetzt hinten. Langsam haben sich Gestalt und Wesen der Frau herausgeschält, die eine so entsetzliche Anklage gegen ihre Brüder erhob.<br>
Wir erreiche Augsburg. Gump sitzt jetzt hinten. Langsam haben sich Gestalt und Wesen der Frau herausgeschält, die eine so entsetzliche Anklage gegen ihre Brüder erhob.<br>
Bei der Schwester [[Tina]] liefern wir unseren "Mörder" ab. Es dauert nicht lange, und wir haben die ganze [[Familie Gump|Familie]] um uns versammelt, zwei Schwestern, einen Schwager, eine Kusine. "Soll ich es sagen?" ruft Schwester [[Personen: Gump Rosalie|Rosa]] aus, und Schwester Tina sagt: "Wir müssen es sagen. Wir müssen dem Toni jetzt helfen. Wir können keine Rücksicht auf die Familie nehmen."
Bei der Schwester [[Personen: Liebl Florentine | Tina]] liefern wir unseren "Mörder" ab. Es dauert nicht lange, und wir haben die ganze Familie um uns versammelt, zwei Schwestern, einen Schwager, eine Kusine. "Soll ich es sagen?" ruft Schwester [[Personen: Gump Rosalie|Rosa]] aus, und Schwester Tina sagt: "Wir müssen es sagen. Wir müssen dem Toni jetzt helfen. Wir können keine Rücksicht auf die Familie nehmen."


'''''Hundert Teufel im Leib?'''''<br>
'''''Hundert Teufel im Leib?'''''<br>
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Und dann erfahren wir die scheußlichsten Dinge über die Tote, von allen bezeugt, so schlimm, daß es uns ekelt vor so viel Niedertracht und menschlicher Kälte. Es ist unmöglich, alles das öffentlich auszubreiten, es genügt, wenn bezeugt wird, daß Frau Centa Meier ihren sterbenden Vater dafür geprügelt hat, daß er nicht reinlich genug war, daß sie ihm die Blumen aus der Hand riß und zerstampfte, weil Schwester Tina uns Schwester Rosa sie dem Vater mitgebracht hatten. Das letzte Wort des Vaters über seine Tochter Centa ist gewesen:
Und dann erfahren wir die scheußlichsten Dinge über die Tote, von allen bezeugt, so schlimm, daß es uns ekelt vor so viel Niedertracht und menschlicher Kälte. Es ist unmöglich, alles das öffentlich auszubreiten, es genügt, wenn bezeugt wird, daß Frau Centa Meier ihren sterbenden Vater dafür geprügelt hat, daß er nicht reinlich genug war, daß sie ihm die Blumen aus der Hand riß und zerstampfte, weil Schwester Tina uns Schwester Rosa sie dem Vater mitgebracht hatten. Das letzte Wort des Vaters über seine Tochter Centa ist gewesen:
"Die hat nicht einen Teufel im Leib, sondern hundert."<br>
"Die hat nicht einen Teufel im Leib, sondern hundert."<br>
Als Schwester Tina die Tobende einmal zur Rede stellt, wie sie den Vater so schrecklich behandeln könne, schreit sie: "Ich bin ja gar keine Tochter net von eurem Vater." Sie beschimpft die tote Mutter, bezichtigt sie eines Seitensprungs mit den Vater desselben Adolf Meier, den sie geheiratete hat. Die Meiers haben neben dem Hause der Gumps gewohnt. "Unsere Mutter ist eine gute Mutter gewesen", weint Schwester Tina. Wir hören von Prügeleinen, die diese Centa angezettelt hat, um derentwillen sie stadtbekannt war, wir hören davon, wie Meiers von Wohnung zu Wohnung ziehen mußten, weil Centa überall die Menschen verleumdete, wir hören, daß Centa Jahre vor dem ersten Weltkrieg von einem Sturz aus dem Heuboden eine schwere Kopfverletzung davontrug und auf eigene Verantwortung ungeheilt entlassen wurde.
Als Schwester Tina die Tobende einmal zur Rede stellt, wie sie den Vater so schrecklich behandeln könne, schreit sie: "Ich bin ja gar keine Tochter net von eurem Vater." Sie beschimpft die tote Mutter, bezichtigt sie eines Seitensprungs mit dem Vater desselben Adolf Meier, den sie geheiratete hat. Die Meiers haben neben dem Hause der Gumps gewohnt. "Unsere Mutter ist eine gute Mutter gewesen", weint Schwester Tina. Wir hören von Prügeleinen, die diese Centa angezettelt hat, um derentwillen sie stadtbekannt war, wir hören davon, wie Meiers von Wohnung zu Wohnung ziehen mußten, weil Centa überall die Menschen verleumdete, wir hören, daß Centa Jahre vor dem ersten Weltkrieg von einem Sturz aus dem Heuboden eine schwere Kopfverletzung davontrug und auf eigene Verantwortung ungeheilt entlassen wurde.


Zuletzt besuchen wir noch jenes Cafè in Augsburg, wo Centa Meier einmal Hausmeisterin war. Die Besitzerin erinnert sich bald. "Herrgott, das war doch die, die so unglaublich schmutzig war. Gestohlen hat sie, Und sonst war es auch nicht richtig bei ihr. Ja, die haben wir sehr schnell wieder entlassen ... Ja, die ... wenn es die ist, die Sie meinen, dann kann ich Ihnen nur sagen, daß bei ihrer angeborenen teuflisch Art alles Lug und Trug war, was sie gebeichtet hat."
Zuletzt besuchen wir noch jenes Cafè in Augsburg, wo Centa Meier einmal Hausmeisterin war. Die Besitzerin erinnert sich bald. "Herrgott, das war doch die, die so unglaublich schmutzig war. Gestohlen hat sie, Und sonst war es auch nicht richtig bei ihr. Ja, die haben wir sehr schnell wieder entlassen ... Ja, die ... wenn es die ist, die Sie meinen, dann kann ich Ihnen nur sagen, daß bei ihrer angeborenen teuflisch Art alles Lug und Trug war, was sie gebeichtet hat."
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Anton Gump ist zur Zeit der Tat Fabrikarbeiter gewesen. Adolf Gump, der ältere, war Korbmacher. Er zog mit einem Schubkarren voller Körbe, Bettzeug und ähnlichem Hausrat mit seinem Vater zusammen auf dem Lande umher, von Dorf zu Dorf, wegen seiner Armut und seines Berufes bei den begüterten Bauern nicht eben angesehen.<br>
Anton Gump ist zur Zeit der Tat Fabrikarbeiter gewesen. Adolf Gump, der ältere, war Korbmacher. Er zog mit einem Schubkarren voller Körbe, Bettzeug und ähnlichem Hausrat mit seinem Vater zusammen auf dem Lande umher, von Dorf zu Dorf, wegen seiner Armut und seines Berufes bei den begüterten Bauern nicht eben angesehen.<br>
Bettelarm war Adolf, arm war sein Bruder. Aber der Hof in Hinterkaifeck war voller [[Sachverhalte: Nach der Tat vorhandenes Geld|Geld]]. Gold und Silber fand man in einem Schrank, denn die Mörder nicht einmal aufgemacht hatten, obwohl sie noch drei Tage nach der Tat im Hause gewesen sein müssen. Nicht einmal das Papiergeld, das der alte Bauer in einer Tasche unter seinem Kopfkissen verbarg, haben die Mörder genommen. Welches Unmaß von Haß muß die Mörder getrieben haben, wenn in der damaligen Zeit der beginnenden Inflation  sogar Gold und Silber für sie gleichgültig waren. Und man fragt sich: Hätten so arme Leute wie die Gumps, drei Tage mit diesen Schätzen eingesperrt, der Verlockung widerstanden?<br>
Bettelarm war Adolf, arm war sein Bruder. Aber der Hof in Hinterkaifeck war voller [[Sachverhalte: Nach der Tat vorhandenes Geld|Geld]]. Gold und Silber fand man in einem Schrank, denn die Mörder nicht einmal aufgemacht hatten, obwohl sie noch drei Tage nach der Tat im Hause gewesen sein müssen. Nicht einmal das Papiergeld, das der alte Bauer in einer Tasche unter seinem Kopfkissen verbarg, haben die Mörder genommen. Welches Unmaß von Haß muß die Mörder getrieben haben, wenn in der damaligen Zeit der beginnenden Inflation  sogar Gold und Silber für sie gleichgültig waren. Und man fragt sich: Hätten so arme Leute wie die Gumps, drei Tage mit diesen Schätzen eingesperrt, der Verlockung widerstanden?<br>
Wir haben weiter gesucht. Wir dachten an [[Tatmotive|Eifersucht]]. Aber war es denkbar, daß einer aus Eifersucht eine ganze Familie ausrottet und daß ihm dabei der unbeteiligte Bruder hilft? Wir haben geforscht und haben einen Zeugen gefunden, der die Grubers gut gekannt hat. Was dieser Mann aussagt, deutet auf Rache, aber weit weg von den Brüdern Gump. Der Staatsanwalt ist eine Spur zu Ende gegangen. Er muß umkehren und weitere Spuren verfolgen, vielleicht lassen sie sich noch einmal auffrischen, vielleicht ergeben sich zwischen ihnen Zusammenhänge. Der Name Hinterkaifeck bleibt auch nach dreißig Jahren in rätselhaftes Dunkel gehüllt.<br>
Wir haben weiter gesucht. Wir dachten an [[Sonstiges: Tatmotive|Eifersucht]]. Aber war es denkbar, daß einer aus Eifersucht eine ganze Familie ausrottet und daß ihm dabei der unbeteiligte Bruder hilft? Wir haben geforscht und haben einen Zeugen gefunden, der die Grubers gut gekannt hat. Was dieser Mann aussagt, deutet auf Rache, aber weit weg von den Brüdern Gump. Der Staatsanwalt ist eine Spur zu Ende gegangen. Er muß umkehren und weitere Spuren verfolgen, vielleicht lassen sie sich noch einmal auffrischen, vielleicht ergeben sich zwischen ihnen Zusammenhänge. Der Name Hinterkaifeck bleibt auch nach dreißig Jahren in rätselhaftes Dunkel gehüllt.<br>
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