Sechsfacher Mord nach dreizehn Jahren aufgeklärt?
Berlin, 4. Febr. Deutsche Blätter melden aus Augsburg: Ein furchtbares Verbrechen, das im März 1922 in der Einöde Hinterkaifeck in der Gegend von Augsburg begangen wurde, scheint jetzt seine Aufklärung zu finden. Vor einigen Tagen erschien bei der Gendarmerie in Hohenwart bei Schrobenhausen in der Gegend von Augsburg die jetzt 20jährige Maria Pfleger und erstattete gegen ihren eigenen Vater Josef Pfleger, aus Deimhausen, Anzeige wegen sechsfachen Mordes, begangen im Jahre 1922. Pfleger wurde auf diese Anzeige hin sofort verhaftet, leugnete aber, mit der Tat - weder als Täter noch als Mittäter - etwas zu tun zu haben.
Die Tat, der der Kläger beschuldigt wird, erregte damals in der ganzen Gegend das größte Aufsehen, umsomehr, als sie mit bestialischer Grausamkeit, begangen wurde und bis jetzt ungeklärt blieb. Wie die Tochter Maria jetzt vor der Polizei angab, habe ihr Vater am 15. Januar d.J. diese Mordtat eingestanden und in allen Einzelheiten geschildert. Danach ist Pfleger, der seit zwei Jahren in Deimhausen wohnt und sich keines guten Rufes erfreut - er ist u.a. wegen Sittlichkeitsvergehen mit Gefängnis bestraft - mit einem Komplizen in den Stall der Einöde Kaifeck eingedrungen. Der kurze darauf in den Stall eintretende alte Bauer, der durch das unruhig gewordene Vieh aus dem Schlafe geweckt worden war, wurde von den beiden Eindringlingen mit einer Hacke niedergeschlagen. Als die beiden Verbrecher dann in das Haus selbst eindrangen, wurde die Magd wach, die, als sie aus ihrer Kammer trat, gleichfalls sofort erschlagen wurden.
Dem in der Kammer nebenan liegenden Kinder wurde der Schädel eingeschlagen. Ebenso erging es - als viertem Opfer - einem zweiten Kinde, das den beiden Ummenschen gerade in den Weg lief.
Als fünftes und sechstes Opfer der Mörder wurden die verwitwete Besitzerin des Anwesens, Frau Gabriel und ihre alte Mutter durch Schläge auf den Kopf getötet. Dei sechs Opfer wurden dann in den Stall geschleppt und, mit Heu zugedeckt, nebeneinander hingelegt.
Die beiden Mörder blieben dann noch drei Tage lang in dem Hause des Schreckens, um das Vieh zu füttern. Sie fürchteten nämlich, daß durch das Geschrei des Hungers leidenden Viehes Vorübergehende hätten nach der Ursache sehen und auf diese Weise die Mörder entdecken können. Als schließlich der Postbote an das Haus kam, bekamen die beiden Verbrecher es mit der Angst zu tun und gingen auf und davon. Von der Beute erhielt jeder 700 Mark.
Die Tochter Maria des Pfleger war damals sieben Jahre alt. Sie kann sich, wie sie aussagte, noch gut erinnern, daß ihr Vater damals viel Geld gezeigt habe, über dessen Herkunft er aber nichts sagte. Ihre Mutter selbst war damals, zur Zeit des Mordes, in München, um sich einer Operation zu unterziehen.
Die Tochter gab an, sie habe den Vater angezeigt, weil sie selbst wünsche, daß eine solch ruchlose Tat gesühnt werde. Sie sei bereit, ihre Aussagen durch den Eid zu bekräftigen. Pfleger selbst, der seiner Tochter erzählte, daß sein Komplize inzwischen gestorben sei, leugnet nach wie vor.
Die Mordanzeige der Tochter hat in den Kreisen der Bevölkerung größtes Aufsehen erregt.
Man kann sich nicht denken, daß ein Mensch 13 Jahre lang eine derartige Tat auf dem Gewissen haben kann. Man kann sich aber auch nicht denken, daß die Tochter Maria der unmenschlichen Tat fähig wäre, ihren Vater in einer solchen Weise fälschlich zu beschuldigen.
Nach der Entdeckung des sechsfachen Mordes im Jahre 1922 nahm man zuerst an, es handele sich um einen Racheakt des in Rußland im Jahre 1917 vermißten Ehemannes der Frau Gabriel. Man glaubte, daß er noch lebe, und davon erfahren habe, daß seinen Frau während seiner Abwesenheit im Kriege und während seines Vermißtseins mit der ehelichen Treue nicht sehr genau nahm. Er sei also, dachte man sich, 1922 unerkannt zurückgekommen und habe Frau und Kinder und die ganze übrige Familie ermordet, um dann ebenso unerkannt wieder zu verschwinden.
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