Zeitungsartikel: 1953-05-06 Weltbild: Unterschied zwischen den Versionen

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Ein hinter die Kirche geducktes Haus, grau, mit langen Reihen kleiner Fenster. Ein Scheunentor führt hinein. Wo wohnt Herr Gump? Eine Frau deutet zu einer schmalen eisernen Treppe hinüber. "Da oben!" Lüstern, neugierig schaut sie uns an. "Ich hab es in der Zeitung gelesen", sagt sie, "der Gump soll es sein, sagen die Leute..." Die eiserne Treppe wankt unter unserm Gewicht. Dann lesen wir an der Tür: Gump!
Ein hinter die Kirche geducktes Haus, grau, mit langen Reihen kleiner Fenster. Ein Scheunentor führt hinein. Wo wohnt Herr Gump? Eine Frau deutet zu einer schmalen eisernen Treppe hinüber. "Da oben!" Lüstern, neugierig schaut sie uns an. "Ich hab es in der Zeitung gelesen", sagt sie, "der Frau soll es sein, sagen die Leute..." Die eiserne Treppe wankt unter unserm Gewicht. Dann lesen wir an der Tür: Gump!


Wir sind aufgeregt. Wir besuchen ja in dieser bayerischen [[Ingolstadt|Kleinstadt]] einen Mörder. "Eine Bestie in Menschengestalt", hat ihn eine Zeitung genannt. Sechs Menschen sind damals, am 31. März 1922, erschlagen worden. [[Hinterkaifeck|Hinterkaifeck]], das war ein Einödshof, fünfhundert Meter vom nächsten Dorf weg, zwischen Augsburg und Ingolstadt. Der Bauer [[Personen: Gruber Andreas|Gruber]] hauste darin mit seiner Familie, [[Familie Gruber|seltsame]], abweisende, etwas verrufene Leute. Die zwei Kinder auf dem Hof waren in [[Sachverhalte: Strafprozess wegen Blutschande gegen Andreas Gruber und Viktoria Gabriel 1915|Blutschande]] gezeugt. Aber Geld hatten die Leute, [[Sachverhalte: Vor der Tat vorhandenes Geld|viel Geld]], in Papier, Silber und Gold. Und davon fehlte nichts, gar nichts, als man den Mord entdeckte. Die Leichen des alten Bauern und seiner [[Personen: Gruber Cäzilia|Frau]], der Tochter [[Personen: Gabriel Viktoria|Viktoria]] und der siebenjährigen [[Personen: Gabriel Cäzilia|Cäcilie]] lagen in der [[Sachverhalte: Die 5 Tatortbilder|Scheune]] neben der Stalltür. Alle mit einer [[Sachverhalte: Reuthaue|Hacke]] erschlagen. Dem kleinen [[Personen: Gruber Josef|Josef]], dreijährig, war durch das Dach des Kinderwagens der Schädel zertrümmert worden, die [[Personen: Baumgartner Maria|Magd]] lag tot in ihrer Kammer.
Wir sind aufgeregt. Wir besuchen ja in dieser bayerischen [[Ingolstadt|Kleinstadt]] einen Mörder. "Eine Bestie in Menschengestalt", hat ihn eine Zeitung genannt. Sechs Menschen sind damals, am 31. März 1922, erschlagen worden. [[Hinterkaifeck|Hinterkaifeck]], das war ein Einödshof, fünfhundert Meter vom nächsten Dorf weg, zwischen Augsburg und Ingolstadt. Der Bauer [[Personen: Gruber Andreas|Gruber]] hauste darin mit seiner Familie, [[Familie Gruber|seltsame]], abweisende, etwas verrufene Leute. Die zwei Kinder auf dem Hof waren in [[Sachverhalte: Strafprozess wegen Blutschande gegen Andreas Gruber und Viktoria Gabriel 1915|Blutschande]] gezeugt. Aber Geld hatten die Leute, [[Sachverhalte: Vor der Tat vorhandenes Geld|viel Geld]], in Papier, Silber und Gold. Und davon fehlte nichts, gar nichts, als man den Mord entdeckte. Die Leichen des alten Bauern und seiner [[Personen: Gruber Cäzilia|Frau]], der Tochter [[Personen: Gabriel Viktoria|Viktoria]] und der siebenjährigen [[Personen: Gabriel Cäzilia|Cäcilie]] lagen in der [[Sachverhalte: Die 5 Tatortbilder|Scheune]] neben der Stalltür. Alle mit einer [[Sachverhalte: Reuthaue|Hacke]] erschlagen. Dem kleinen [[Personen: Gruber Josef|Josef]], dreijährig, war durch das Dach des Kinderwagens der Schädel zertrümmert worden, die [[Personen: Baumgartner Maria|Magd]] lag tot in ihrer Kammer.
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Der [[Ermittler: Popp Andreas Dr.|Staatsanwalt]] hat uns vor Gump gewarnt: "Das ist ein versierter Mensch. Der kennt sich aus. Der wird Sie in Grund und Boden reden!" Das kann man sich vorstellen bei einem Mann, der sechs Menschen erschlug und diese Tat dreißig Jahre in seinem Innern verbarg.
Der [[Ermittler: Popp Andreas Dr.|Staatsanwalt]] hat uns vor Gump gewarnt: "Das ist ein versierter Mensch. Der kennt sich aus. Der wird Sie in Grund und Boden reden!" Das kann man sich vorstellen bei einem Mann, der sechs Menschen erschlug und diese Tat dreißig Jahre in seinem Innern verbarg.


Wir klopfen. Wir öffnen die Tür und stehen in einer kleinen sauberen Küche. Eine alte [[Frau]] steht vor uns. Böse sieht sie uns an. Kampfbereit wischt sie die Hände an ihrer Schürze ab und deutet nach hinten: "Da sitzt mein [[Personen: Gump Anton| Gump Anton]]Mann."
Wir klopfen. Wir öffnen die Tür und stehen in einer kleinen sauberen Küche. Eine alte [[Personen: Gump Franziska|Frau]] steht vor uns. Böse sieht sie uns an. Kampfbereit wischt sie die Hände an ihrer Schürze ab und deutet nach hinten: "Da sitzt mein [[Personen: Gump Anton| Mann]]."


Vom Sofa erhebt sich ein kleiner alter rotbäckiger Mann mit einer großen Nase und grauen Haaren, die wie bei einer Bürste nach oben stehen. Er trägt einen Schnurrbart, der heftig zu zittern beginnt, sobald er erregt ist. Unbeholfen, hilflos steht er da, erschrocken, aufgeregt, übernächtigt. Die Röte auf seinem Gesicht weicht dann und wann einer wächsernen Blässe.
Vom Sofa erhebt sich ein kleiner alter rotbäckiger Mann mit einer großen Nase und grauen Haaren, die wie bei einer Bürste nach oben stehen. Er trägt einen Schnurrbart, der heftig zu zittern beginnt, sobald er erregt ist. Unbeholfen, hilflos steht er da, erschrocken, aufgeregt, übernächtigt. Die Röte auf seinem Gesicht weicht dann und wann einer wächsernen Blässe.


Wir zeigen ihm die "Warnung", die er selbst in der Zeitung veröffentlicht hatte:"Im Zusammenhang mit der Mordtat von Hinterkaifeck und den diesbezüglichen Presseberichten wurde in Ingolstadt und auswärts mein Name genannt. Ich werde jeden gerichtlich belangen, der mich mit der genannten Tat mündlich oder schriftlich in irgendeine Verbindung bringt. Ich bin mir keinerlei Schild bewusst und werde versuchen, auf dem Prozesswege meine Unschuld zu beweisen."
Wir zeigen ihm die "Warnung", die er selbst in der Zeitung veröffentlicht hatte: "Im Zusammenhang mit der Mordtat von Hinterkaifeck und den diesbezüglichen Presseberichten wurde in Ingolstadt und auswärts mein Name genannt. Ich werde jeden gerichtlich belangen, der mich mit der genannten Tat mündlich oder schriftlich in irgendeine Verbindung bringt. Ich bin mir keinerlei Schild bewusst und werde versuchen, auf dem Prozesswege meine Unschuld zu beweisen."


Gump spricht stockend, er sucht nach Worten, es fällt ihm schwer, fließend zu reden. Seine Worte sind einfach, vom Augenblick eingegeben, nicht vorbedacht. Dieser Mann soll "versiert" sein? Wir verstehen den Staatsanwalt nicht.
Gump spricht stockend, er sucht nach Worten, es fällt ihm schwer, fließend zu reden. Seine Worte sind einfach, vom Augenblick eingegeben, nicht vorbedacht. Dieser Mann soll "versiert" sein? Wir verstehen den Staatsanwalt nicht.
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"Wenn es nicht endlich herauskommt, wer wirklich der Mörder war, dann bleibt es ja doch auf dem Toni", schluchzt seine Frau, Am Silvesterabend haben die beiden aus dem Radio gehört, daß die Jagd auf ihn noch einmal anging. Dann kamen die vielen Artikel in den Zeitungen. "Ich habe die Nächte nicht mehr schlafen können", weint Frau Gump. Und er wirft ein: "Ich habe den Gashahn aufdrehen wollen, aber dann hätten doch alle gesagt: 'Aha, da sieht man's. Er ist es also gewesen.'"
"Wenn es nicht endlich herauskommt, wer wirklich der Mörder war, dann bleibt es ja doch auf dem Toni", schluchzt seine Frau, Am Silvesterabend haben die beiden aus dem Radio gehört, daß die Jagd auf ihn noch einmal anging. Dann kamen die vielen Artikel in den Zeitungen. "Ich habe die Nächte nicht mehr schlafen können", weint Frau Gump. Und er wirft ein: "Ich habe den Gashahn aufdrehen wollen, aber dann hätten doch alle gesagt: 'Aha, da sieht man's. Er ist es also gewesen.'"


Ja, da sind die Leute, die sie persönlich kennen, die lachen darüber, daß der Toni ein Mörder sein soll. Aber da sind die vielen andern, die zwar wissen, wie 'Gump aussieht - er war zuletzt fünf Jahre Prüfer beim Wohnungsamt und lief einmal von Wohnung zu Wohnung -, aber die ihn nicht näher kennen. Die sind es, die tuscheln und mit dem Finger auf den alten Mann zeigen und die es glauben, wenn in einer Frankfurter Zeitung steht: "Der Untersuchungsrichter richtet keine Fragen mehr an den überführten Mörder. Angesichts des vor ihm kauernden Verbrechers läuft es sogar dem erfahrenen Kriminalisten eiskalt den Rücken hinunter. " An dieser Schilderung ist kein wahres Wort.<br>
Ja, da sind die Leute, die sie persönlich kennen, die lachen darüber, daß der Toni ein Mörder sein soll. Aber da sind die vielen andern, die zwar wissen, wie 'Gump aussieht - er war zuletzt fünf Jahre Prüfer beim Wohnungsamt und lief einmal von Wohnung zu Wohnung -, aber die ihn nicht näher kennen. Die sind es, die tuscheln und mit dem Finger auf den alten Mann zeigen und die es glauben, wenn in einer Frankfurter Zeitung steht: "Der Untersuchungsrichter richtet keine Fragen mehr an den überführten Mörder. Angesichts des vor ihm kauernden Verbrechers läuft es sogar dem erfahrenen Kriminalisten eiskalt den Rücken hinunter. "An dieser Schilderung ist kein wahres Wort.<br>
Was hat diesen Mann in diesen furchtbaren Verdacht gebracht? Die Aussage seiner Schwester, einer Frau, die auf dem Totenbett gestanden haben soll, ihre beiden Brüder seien die Mörder von Hinterkaifeck. Eine Frau, die auf dem Totenbett liegt, spricht die 'Wahrheit, scheint ein unumstößlicher Satz zu sein. Aber die Kriminalgeschichte kennt mehr als einen Fall, in dem Sterbende bewußt gelogen haben, um einen satanischen Haß auch nach ihrem Tode noch walten zu lassen. Was ist diese [[Personen: Maier Kreszenz|Creszentia Meier]], die ihre Brüder des Mordes bezichtigt hat, für eine Frau gewesen!
Was hat diesen Mann in diesen furchtbaren Verdacht gebracht? Die Aussage seiner Schwester, einer Frau, die auf dem Totenbett gestanden haben soll, ihre beiden Brüder seien die Mörder von Hinterkaifeck. Eine Frau, die auf dem Totenbett liegt, spricht die 'Wahrheit, scheint ein unumstößlicher Satz zu sein. Aber die Kriminalgeschichte kennt mehr als einen Fall, in dem Sterbende bewußt gelogen haben, um einen satanischen Haß auch nach ihrem Tode noch walten zu lassen. Was ist diese [[Personen: Maier Kreszenz|Creszentia Meier]], die ihre Brüder des Mordes bezichtigt hat, für eine Frau gewesen!


"Ich hab' sie 1919 zum erstenmal gesehen, bevor wir geheiratet haben", erzählt die Ehefrau. "Der Toni hat mich als seine Braut vorgestellt, und sie hat wütend zu ihm gesagt:'Ich kenne dich nicht,' "
"Ich hab' sie 1919 zum erstenmal gesehen, bevor wir geheiratet haben", erzählt die Ehefrau. "Der Toni hat mich als seine Braut vorgestellt, und sie hat wütend zu ihm gesagt: 'Ich kenne dich nicht,' "


Am anderen Tag sind wir mit dem alten Mann unterwegs. Wir sind etwas vorsichtig. Immerhin glaubt die Staatsanwaltschaft doch anscheinend immer noch, daß er ein Mörder ist. Vielleicht ist doch etwas dran? Wir setzen Gump vorne neben den Fahrersitz. Der Sicherheit halber...
Am anderen Tag sind wir mit dem alten Mann unterwegs. Wir sind etwas vorsichtig. Immerhin glaubt die Staatsanwaltschaft doch anscheinend immer noch, daß er ein Mörder ist. Vielleicht ist doch etwas dran? Wir setzen Gump vorne neben den Fahrersitz. Der Sicherheit halber...
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'''''Hundert Teufel im Leib?'''''<br>
'''''Hundert Teufel im Leib?'''''<br>


Und dann erfahren wir die scheußlichsten Dinge über die Tote, von allen bezeugt, so schlimm, daß es uns ekelt vor so viel Niedertracht und menschlicher Kälte. Es ist unmöglich, alles das öffentlich auszubreiten, es genügt, wenn bezeugt wird, daß Frau Centa Meier ihren sterbenden Vater dafür geprügelt hat, daß er nicht reinlich genug war, daß sie ihm die Blumen aus der Hand riß und zerstampfte, weil Schwester Tina uns Schwester Rosa sie dem Vater mitgebracht hatten. Das letzte Wort des Vaters über seine Tochter Centa ist gewesen:<br>
Und dann erfahren wir die scheußlichsten Dinge über die Tote, von allen bezeugt, so schlimm, daß es uns ekelt vor so viel Niedertracht und menschlicher Kälte. Es ist unmöglich, alles das öffentlich auszubreiten, es genügt, wenn bezeugt wird, daß Frau Centa Meier ihren sterbenden Vater dafür geprügelt hat, daß er nicht reinlich genug war, daß sie ihm die Blumen aus der Hand riß und zerstampfte, weil Schwester Tina uns Schwester Rosa sie dem Vater mitgebracht hatten. Das letzte Wort des Vaters über seine Tochter Centa ist gewesen:
"Die hat nicht einen 'Teufel im Leib, sondern hundert."<br>
"Die hat nicht einen Teufel im Leib, sondern hundert."<br>
Als Schwester Tina die Tobende einmal zur Rede stellt, wie sie den Vater so schrecklich behandeln könne, schreit sie: "Ich bin ja gar keine Tochter net von eurem Vater." Sie beschimpft die tote Mutter, bezichtigt sie eines Seitensprungs mit den Vater desselben Adolf Meier, den sie geheiratete hat. Die Meiers haben neben dem Hause der Gumps gewohnt. "Unsere Mutter ist eine gute Mutter gewesen", weint Schwester Tina. Wir hören von Prügeleinen, die diese Centa angezettelt hat, um derentwillen sie stadtbekannt war, wir hören davon, wie Meiers von Wohnung zu Wohnung ziehen mußten, weil Centa überall die Menschen verleumdete, wir hören, daß Centa Jahre vor dem ersten Weltkrieg von einem Sturz aus dem Heuboden eine schwere Kopfverletzung davontrug und auf eigene Verantwortung ungeheilt entlassen wurde.
Als Schwester Tina die Tobende einmal zur Rede stellt, wie sie den Vater so schrecklich behandeln könne, schreit sie: "Ich bin ja gar keine Tochter net von eurem Vater." Sie beschimpft die tote Mutter, bezichtigt sie eines Seitensprungs mit den Vater desselben Adolf Meier, den sie geheiratete hat. Die Meiers haben neben dem Hause der Gumps gewohnt. "Unsere Mutter ist eine gute Mutter gewesen", weint Schwester Tina. Wir hören von Prügeleinen, die diese Centa angezettelt hat, um derentwillen sie stadtbekannt war, wir hören davon, wie Meiers von Wohnung zu Wohnung ziehen mußten, weil Centa überall die Menschen verleumdete, wir hören, daß Centa Jahre vor dem ersten Weltkrieg von einem Sturz aus dem Heuboden eine schwere Kopfverletzung davontrug und auf eigene Verantwortung ungeheilt entlassen wurde.


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