Zeitungsartikel: 1951 Hecker Serie 07

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Die Mordnacht in Hinterkaifeck

Detailinformationen

Datum

1951

Ort

Ingolstadt

Art des Dokumentes

Zeitungsserie

Verfasser

Josef Ludwig Hecker

Verfasst für

Donaukurier

Inhalt

HINTER DER TÜT WARTET DER TOD
"Seltsam", sagt Viktoria. "Kaum hat man einen Menschen im Haus, gibt es ein Durcheinander. Wahrscheinlich hat Marie an einer Kette herumgemacht, und jetzt ist eine Kuh los geworden."
Sie legt ihr Strickzeug beiseite und verläßt die Küche. Als sie die Stalltür öffnet, bemerkt sie sofort, daß sich sämtliche Tiere im Zustand einer ungewöhnlichen Erregung befinden. Sie schnauben und treten unruhig umher. Im Dunkeln ist die Ursache ihres merkwürdigen Verhaltens nicht zu erkennen.
Viktoria begibt sich in die Küche, um eine Schachtel Streichhölzer zu holen.
Mit den Zündhölzern kehrt sie in den Stall zurück. Vor der Tür streift sie ihre Hausschuhe ab und schlüpft in Holzpantoffel. Dann tritt sie durch die Tür. Wild rast der Sturm um das Gehöft. Ist es ein Aufschrei der Natur ob des Entsetzlichen, das nun geschieht? Die Minuten rinnen hin. Immer noch stehen die Hausschuhe im dunklen Flur vor der Stalltür. Viktoria kommt nicht zurück. Sie kommt nie mehr zurück...
Draußen biegen sich die Bäume unter der Gewalt des Sturmes. Von ferne klingt das langegezogene Heulen eines Hundes. Über den finsteren Nachthimmel jagen schwarze Wolken. Zuweilen wirft nur der Mond sein bleiches Licht über die Landschaft. Aber mit keinem Strahlrührt er in den Stall von Hinterkaifeck und auf das Grauenvolle, das darin geschehen ist.
Inzwischen hat die alte Gruberin ihr Kleidungsstück ausgebessert. Sie nimmt ein paar Schluck aus einer auf dem Herd stehenden Tasse Kaffee. Die kleine Cäzilie drückt ihr ein Buch in die Hand. Sie will ihr Gedicht aufsagen, und die Großmutter soll zum Vergleich im Buch mitlesen. Jetzt erst kommt es der alten Frau zum Bewußtsein, daß sich ihre Tochter schon länger als zehn Minuten im stall aufhält. Sie weist das Kind von sich und verläßt die Küche.
²Viktoria!", ruft sie an der offenen Stalltür. Sie erhält keine Antwort. Nur die Tiere schnauben und rasseln mit ihren Ketten. Da tritt sie durch die Tür. Ahnungslos geht sie dem Tod entgegen, der gnadenlos hinter der Tür lauert.
Cäzilie wird nicht müde, in der Küche immer wieder ihr Gedicht herunterzusagen. Es verdrießt sie nur, daß ihre Mutter so lange ausbleibt. Sie läuft endlich nach dem Stall. Eine Kuh brüllt dumpf und bang. Das Licht der Petroleumlampe erhellt den Stall nur notdürftig. Cäzilie ist vor der Tür stehengeblieben. Als sie weder ihre Mutter noch ihre Großmutter erblickt, entschließt sie sich anders, und begibt sich ins Schlafzimmer der Großeltern.
Andreas Gruber hat sich noch nicht schlafen gelegt. Aber er hat die Bettdecke bereits zurückgeschlagen und steht in Unterhosen über den Kinderwagen gebeugt. Der kleine Josef schläft unruhig. Über den Kopfteil des Wagens spannt sich ein starkes Dach. Der verwaschene blaue Vorhang ist zur Seite geschoben. Dahinter ist das gerötete Gesicht des Knaben zu sehen.
Unwillig blickt der alte Mann auf die Enkelin, die ihm ihr Buch entgegen hält, und fragt sie, ob ihre Mutter denn nicht Zeit habe, das Gedicht anzuhören. Da berichtet Cäzilie, die Kühe hätten so laut gebrüllt, daraufhin sei ihre Mutter in den Stall gegangen, und vor einer Weile sei auch die Großmutter in den Stall gegangen, sie hielten sich nimmer noch dort auf, aber sie seine nirgends zu sehen.
"Weiber!", brummt Andreas Gruber. Er schickt die Kleine in die Küche, hierauf macht er sich, ohne seine Kleidung zu vervollständigen, auf den Weg in den Stall. Die Tür steht offen. In dem trüben Licht, daß die ander Wand hängenden Petroleumlampe verbreitet, ist nichts Auffälliges zu sehen. Der alte Mann streift die bereitstehenden Holzpantoffel über. Mit schweren Schritten stapft er durch die Tür. Es ist der letzte Gang, den er in seinem Leben antritt.
Marie Baumgartner, die Magd, steht indessen in ihrer Kammer, und kann sich nicht entschließen, zu Bett zu gehen. Es gefällt ihr nicht in Hinterkaifeck, obwohl sie keinem Menschensagen könnte, was sie eigentlich bedrückt. Nachmittags bereits ist ihr manches seltsam erschienen, und sie hat halbwegs mit dem Gedanken gespielt, die Einöde wieder zu verlassen. Nun steht sie in ihrer Kammer und lauscht auf das Toben des Sturmes. Geradezu unheimlich rüttelt der Wind an den Fensterläden.
Plötzlich schreit jemand im Haus. Der Magd zittern die Knie, als sie diesen Schrei hört, der nur aus dem Munde der kleinen Cäzilie rühren kann. Das Mädchen muß sich in unbeschreiblicher Angst befinden. Wieder schreit es auf, dann tritt lähmende Stille ein. Marie Baumgartner zögert keinen Augenblick mehr, schleunigst das Weite zu suchen. Der Ortsführer von Gröbern wird sie wohl über Nacht behalten. In wilder Hast schlüpft sie in die Schuhe, ohne die Bänder zu schnüren. Dann greift sie nach dem Rucksack und zwängt den einen Riemen über ihre Schulter. Da knarrt die Tür. Die Magd fährt herum und schreit erstickt auf. In wahnsinnigem Entsetzen sinkt sie auf einen Stuhl nieder und schlägt die Hände vors Gesicht. Der Tod von Hinterkaifeck holt sein fünftes Opfer.
Im Schlafzimmer der alten Gruber weint der kleine Josef. Die Schreie im Haus haben ihn aus seinem unruhigen Schlummer gerissen. Nun weint er und strampelt sich die Decke vom Leib. Jemand tritt ins Zimmer. Es ist nicht der Großvater. Es ist niemand von den Leuten, die der Zweieinhalbjährige kennt. Sein Weinen mehrt sich. Ungeduldig stößt er mit Händen und Füßen um sich. Augenblicke später liegt er still. Und es liegen alle jene still, die Hinterkaifeck bewohnten. Im Zeitraum von etwa einer halben Stunde ist eines der grausigsten Verbrechen dieses Jahrhunderts verübt worden.

Offene Fragen/Bemerkungen

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