Gottloser Mörderhand fiel zum Opfer... Vor 10 Jahren wurde in Hinterkaifeck bei Schrobenhausen die Familie Gruber ermordet - Von dem Täter bis heute keine Spur - Nur ein Marterl verkündet, daß hier einst ein stolzes Bauerngehöft stand
Wendet man von Schrobenhausen den Schritt ostwärts, Hohenwart zu, so sieht man nach einer guten Wegstunde, eingebettet zwischen sanfte Hügelketten und dunkle Wälder, linker Hand einzelne verstreut liegende Gehöfte, die so malerisch in die Landschaft gestellt sind, als hätte sie ein Zufall oder aber der Wind von ungefähr dort hingeweht. Wir sind da jüngst vorbei gewandert, dort drüben, auf jenen kaum begangenen Feldwegen und Waldpfaden, wo die Natur, unberührt vom Weltgetriebe noch den Hauch der Jungfräulichkeit atmet. Ein hoheitsvolles Schweigen lag über den Fluren, still das Land, einsam und versunken. Inmitten dieser erhabenen Einsamkeit liegt die Einöde Hinterkaifeck.
Liegt - nein, lag einmal. Vor zehn Jahren. Jetzt steht kein Stein mehr auf dem andern. Hinterkaifeck ist ausgetilgt, ausgetilgt wie die Menschen, die darin wohnten, und Pflug und Egge gehen jetzt darüber hin. Schauerliche Tragik hat hier das Werk der Vernichtung vollendet. Ein Gedenkstein erinnert heute den Wanderer nur noch an das Gehöft, das sich an der Stelle erhob, und an seine Bewohner. Auf dem Stein findet sich eingemeißelt:
Die letztaufgeführte Dienstmagd Baumgartner trat erst einige Tage vor der Mordtat in den Dienst Grubers.
Der Spätnachmittag lachte mit seinem freundlichen Gesicht, unterdes wir Gröbern zustrebten, dem nächstgelegenen, nur wenige Minuten entfernten Dorf.
Ein Einheimischer, der sich uns zugesellt hatte, kramte aus dem Schatz seiner Erinnerungen aus:
"Ich war der erste damals, der die furchtbare Untat entdeckte. Die Hinterkaifecker waren tagelang nicht mehr zu sehen. Meine Kinder hätten bei den Grubers eine Bestellung machen sollen. Sie sind öfters drüben gewesen, auch abends, konnten aber niemanden antreffen. Das erschien mir höchst verdächtig und zwar um so mehr, als ich wußte, daß schon kurze Zeit vorher Einbrecher in Hinterkaifeck am Werk waren.
Mit zwei Nachbarn bin ich dann hinter zum Gruber, um zu erfahren, was eigentlich los ist. Sie müssen nämlich wissen: Der Gruber war der Alte, der mit seiner fast um zehn Jahre älteren Frau bei seiner Tochter wohnte. Die Tochter schreibt sich Gabriel. Sie war verheiratet. Ihr Mann ist aber gleich zu Beginn des Krieges gefallen. Seitdem hat sie als Witwe geschaltet. Sie ist nicht ganz 35 Jahre alt geworden. Das Zusammenleben der Hinterkaifecker war nicht gerade harmonisch. Der Alte, der Vater der jungen Frau, war ein Wüßtling. Schon als 16jähriges Mädchen ist sie mit ihrem Vater vor Gericht gestanden wegen Blutschande, dem deswegen vom Schöffengericht Neuburg ein Jahr Gefängnis zudiktiert wurde. Es gab viel Streit im Haus, aber das Geld zusammenhalten, das haben sie alle verstanden. Das wußten jedenfalls auch die Täter."
"Der sechsfache Mord von Hinterkaifeck hat ein Vorspiel," erzählt unser Begleiter weiter. "Einige Tage vor der schaurigen Tat schreibt mir der alte Gruber zu - ich war auf meinem Acker, gegenüber dem Anwesen, beschäftigt -: "Nachbar," sagt er, "heut' nacht haben uns die Einbrecher heimgesucht!" Ich wollte es nicht glauben, habe mich aber selbst überzeugt davon. Die Nacht über hatte es nämlich geschneit, und im Neuschnee konnte man die Fußspuren erkennen. Es müssen zwei fremde Mannspersonen in der Nacht im Hof gewesen sein.
Das war also einige Tage vorher. Wann die Mordtat verübt wurde steht nicht genau fest. Entdeckt wurde sie erst am Dienstag von uns. Sie hat sich aber schon einige Tage vorher ereignet. Das ältere Kind kam an Freitag schon nicht mehr zur Schule. Deswegen nimmt man an, daß die Massenschlächterei in der Nacht von Donnerstag auf Freitag stattgefunden hat. Diese Annahme wird wohl die richtige sein, dass das Vieh im Stall war schon so schwach vom langen Hungern, daß es kaum mehr schreien konnte."
"Und niemand hat das Vieh schreien hören die Tage her?"
"Sie sehen ja, der Hof steht ganz allein, abgelegen vom Dorf, und tagelang kommt oft niemand da vorbei. Wie wir zu dritt zum Anwesen kamen, waren alle Türen und Fenster verschlossen. Wir mußten gewaltsam in die Scheune einbrechen. in der Tenne, versteckt unter Stroh und Heu, stießen wie auf einen menschlichen Körper: der alte Gruber war's. - Tot. Daneben seine Frau, seine Tochter und das ältere Kind. Alle tot.
Lähmendes Entsetzen erfaßte uns. Keiner war fähig, auch nur ein Wort zu sprechen. Der Anblick war zu grauenhaft. Wir hielten im Haus Nachschau. In der Kammer lag tot die Magd, in einem anderen Raume entseelt der dreijährige Joseph. Alle mit einem Hackbeil erschlagen. Es war ein furchtbarer Anblick, den ich nie vergessen werde. Außer dem fast verhungerten Vieh war nur noch der kleine Hund am Leben, aber auch der war mit dem Beil verletzt.
Während man die Behörden verständigte, sammelten sich viele Neugierige aus der Umgebung am Unglückshaus. Ich wollte die Türe aufsprengen. Da fiel mir ein, daß der alte Gruber erzählt hatte, daß seit dem Einbruchsversuch auch der Hausschlüssel fehlte. Es waren also schon eingie Tage vorher die Einbrecher im Haus. Das muß auch in der Tatnacht der Fall gewesen sein. Unter welchen Umständen und in welcher Reihenfolge die sechs Menschen hingemordet wurden, steht nicht fest. Vielleicht, daß sich der alte Gruber auf ein verdächtiges Geräusch hin in die Scheune begab und dort sofort niedergeschlagen wurde und daß dann Frau und Tochter nacheinander folgten und gleichfalls aus dem Hinterhalt erschlagen wurden. Man weiß da ncihts Sicheres. jedenfalls aber sind die Burschen ganz raffiniert zu Werke gegangen. Man konnte hinterher feststellen, daß sie eben auf dem Heuboden sogar Heu auf die Bretter gestreut hatten, damit ihr Tritt unten nicht gehört werde."
"Und die Täter?" fragte ich.
"Ja, - da ist viel geredet worden Erwischt hat man die Mörder bis heute noch nicht. Die Polizei hat zwar fieberhaft gearbeitet. ich weiß nicht wieviele Wanderbursche in den nächsten Tagen auf den Straßen und in den Herbergen weit und breit kontrolliert wurden. Jeder mußte nachweisen, wo er sich in der Tatnacht aufgehalten hat. Man hatte auf einen ganz Bestimmten schweren Verdacht. Wahrscheinlich - dieser Anschauung ist auch die Fahndungsbehörde - ist der Betreffende der Mörder oder er hat die Hand im Spiele. Der Bursche ist seit dieser Zeit verschwunden. Vermutlich hält er sich im Auslande unter falschem Namen auf, aber wo, weiß kein Mensch, auch nicht seine nächsten Angehörigen. Das eine aber kann ich Ihnen bestimmt sagen: Ich bin nicht der Täter!" "Warum denn Sie?" frage ich erstaunt.
"Ja, mich hat man späterhin verdächtigt, und ich habe schlimme Zeiten mitgemacht. Weil ich zuerst am Tatort war, haben manche gemeint, ich sei der Täter. Vielleicht auch manche deswegen, weil ich die Absicht hatte, die verwitwete Tochter des alten Gruber zu heiraten, nachdem meine Frau gestorben war. ich kann Ihnen aber sagen, es ist kein wahres Wort an dem Gerede..."
Wir bringen den Bericht eines Augenzeugen heute ausführlicher, weil sich die grauenhafte Mordtat in diesem Jahre zum zehnten Male jährte, weil der Fall bedeutend genug ist, im Gedächtnis festgehalten zu werden, und weil die Presse vor allem dazu berufen ist, an der Aufklärung solch schwerer Verbrechen mitzuwirken. Die grausige Untat hält heute noch die Gemüter der Schrobenhausener Gegend in weitem Umkreis in Schrecken. Über den Fall wird heute noch viel geredet, und zwar um so mehr, als erst vor zwei Jahren, kaum zwei Wegstunden von Hinterkaifeck entfernt, in Aresing, der zwanzigjährige Landwirtssohn Ludwig Brückl über Nacht spurlos verschwunden ist. Man hat von dem jungen Mann nie mehr etwas gehört. Man hat anfänglich der Möglichkeit Raum gegeben, daß er vielleicht in Nacht und Nebel auf und davon ist, ohne seinen Angehörigen etwas zu sagen. Ein etwas eigenartiger Mensch scheint er ja gewesen zu sein. Die Annahme einer freiwilligen Entfernung vom Elternhaus mußte später aus verschiedenen Gründen fallen gelassen werden. Heute unterliegt es keinem Zweifel mehr, daß der jungen Brückel einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist und seine Leiche verschleppt wurde. Man fand Blutspuren in seiner Kammer, ein Hammer, mit dem die Tat wahrscheinlich ausgeführt wurde, fehlt und die Ersparnisse des jungen Mannes waren verschwunden, während von den Kleidungsstücken fast nichts fehlte. Es wurden in diesem Falle Verhaftungen vorgenommen, aber die Beweismittel waren unzureichend, weil die Hauptsache fehlte, die Leiche, die man bis heute noch nicht gefunden hat.
Noch ein dritter Mordfall aus dem ehemaligen Landgerichtsbezirk Neuburg a.D., der auch schon Jahre zurückliegt, hat noch keine Aufklärung erfahren, der Stuhlermord von Mödingen bei Dillingen. Stuhler wurde in seiner Eigenschaft als Jagdaufseher aus dem Hinterhalt im Walde niedergeschossen. Auch hier konnten die vorgenommenen Verhaftungen kein greifbares Ergebnis zeitigen.
Wer weiß, ob je der Schleier über die drei entsetzlichen Verbrechen gelüftet wird!
Mitten im fruchtbaren Ährenfeld steht ein Marterl, vor dem der Vorübergehende erschüttert stehen bleibt. Hier stand vor zehn Jahren ein Bauerngehöft. Nach der Ermordnung der ganzen Familie Gruber kaufte ein Landwird die Besitzung auf und ließ sie niederreißen. Es blieb kein Stein auf dem andern.