Dokumente: 1922-06-30 Beschluß der Zivilkammer des Landgerichts Neuburg/Donau in der Erbsache Gabriel: Unterschied zwischen den Versionen

 
(3 dazwischenliegende Versionen von einem anderen Benutzer werden nicht angezeigt)
Zeile 59: Zeile 59:
Die Annahme einer gemeinsamen Gefahr hat zur Voraussetzung, daß das Ereignis, welches die Gefahr herbeigeführt hat ein und dasselbe ist. Es muß sich um eine äußere Gefahr, einen das Leben bedrohenden Unglücksfall handeln;ein und diesselbe Gefahr, ein und diesselbe Bedrohung des Lebens muß sich für die Betroffenen verwirklicht haben: z. B. Schiffsuntergang, Brand, schlagende Wetter in einem Bergwerk. Der Begriff der gemeinsamen Gefahr darf jedoch auch nicht zu eng gefaßt werden. cf. Standinger zu § 20 BGB. Anm. 3 Ziffer 2 und Plank Komm xxx.<br>
Die Annahme einer gemeinsamen Gefahr hat zur Voraussetzung, daß das Ereignis, welches die Gefahr herbeigeführt hat ein und dasselbe ist. Es muß sich um eine äußere Gefahr, einen das Leben bedrohenden Unglücksfall handeln;ein und diesselbe Gefahr, ein und diesselbe Bedrohung des Lebens muß sich für die Betroffenen verwirklicht haben: z. B. Schiffsuntergang, Brand, schlagende Wetter in einem Bergwerk. Der Begriff der gemeinsamen Gefahr darf jedoch auch nicht zu eng gefaßt werden. cf. Standinger zu § 20 BGB. Anm. 3 Ziffer 2 und Plank Komm xxx.<br>
Der Raubüberfall und die Ermordung der sämtlichen Einwohner des Einzelhofes in Hinterkaifeck in der Mordnacht sind als ein einziges Ereignis als ein Ganzes anzusehen, wenn auch die 6 Menschen nicht in einer Minute den tödlichen Schlag erhalten haben mögen, sondern jedenfalls aber in ganz kurzen Zeiträumen nach einander abgeschlachtet wurden. Die Gesamtheit der Vorgänge in jener Nacht kann nicht auseinander gerissen werden, sondern ist als die gemeinsame Gefahr, in welcher alle Insassen das Leben verloren haben anzusehen.<br>
Der Raubüberfall und die Ermordung der sämtlichen Einwohner des Einzelhofes in Hinterkaifeck in der Mordnacht sind als ein einziges Ereignis als ein Ganzes anzusehen, wenn auch die 6 Menschen nicht in einer Minute den tödlichen Schlag erhalten haben mögen, sondern jedenfalls aber in ganz kurzen Zeiträumen nach einander abgeschlachtet wurden. Die Gesamtheit der Vorgänge in jener Nacht kann nicht auseinander gerissen werden, sondern ist als die gemeinsame Gefahr, in welcher alle Insassen das Leben verloren haben anzusehen.<br>
Die gesetzliche Vermutung des § 20 BGB. spricht also dafür, daß die in dieser Nacht Erschlagenen gleichzeitig gestorben sind.
Die gesetzliche Vermutung des § 20 BGB. spricht also dafür, daß die in dieser Nacht Erschlagenen gleichzeitig gestorben sind.<br>
 
Diese Vermutung ist durch die gepflogenen Erhebungen bis jetzt nicht widerlegt. Der Beschwerdeführer muß selbst zugeben, daß zur Zeit ein direkter Nachweis dafür, daß die Zäzilie Gruber nach ihrer Mutter gestorben ist nicht erbringen läßt. Die in der Beschwerde angeführten Umstände, die dafür sprechen sollen, daß das Kind nach seiner Mutter gestorben ist, sind nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung zu entkräften. Es handelt sich um nichts weiter als Vermutungen. Der Beschwerdeführer übersieht, daß auch, wenn feststehen würde, in welcher Reihenfolge den Ermordeten von dem oder den Tätern der tötliche Schlag beigebracht wurde damit noch nicht mit Sicherheit feststehen würde, daß auch der Tod in dieser Reihenfolge eingetreten ist. Es ist leicht denkbar, daß die Mutter Viktoria Gabriel trotz der zuerst empfangenen tötlichen Verletzung noch einige, wenn auch kúrze Zeit gelebt hat, während das Kind sofort nach Erhalt des Schlages verschieden ist.<br>
im Aufbau
Das Beschwerdegericht teilt deshalb aufgrund des § 20 BGB. die Annahme des Nachlaßgerichts, daß die Mutter und das Kind gleichzeitig gestorben sind und daher die Zäzilia Gabriel für die Erbfolge auszuscheiden hat.<br>
Erbe kann nur werden, wer zur Zeit des Erbfalles lebt § 1923 BGB. Hat das Kind seine Mutter nicht überlebt, so kann es sie nicht beerbt haben. Damit ist aber dem Anspruch des Antragstellers jeder Boden entzogen, denn er gründet seine Ansprüche an den Nachlaß und seine Einwendungen gegen den ausgestellten Erbschein einzig und allein darauf, daß das Kind seine Mutter überlebt hat.<br>
Die Ausstellung des Erbscheins durch das Nachlaßgericht auf die dort aufgeführten Erben ist demnach mit Recht erfolgt und war deshalb die erhobene Beschwerde  als unbegründet zurückzuweisen mit der Folge, daß die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Beschwerdeführer, der sie verursacht hat, zur Last fallen. Art. 131 AG. z. BGB.<br>
gez. Matthäus st. LGDir.    Scheidle LGRat    Hirschböck LGRat<br>
:::::Vorstehende Ausfertigung lautet gleich der Urschrift. Eine Ausfertigung vorstehenden Beschlußes wurde dem Beschwerdeführer, RA JR. Graf von amtswegen zugestellt.<br>
<div align="center"> Neuburg a. D. , den 8. Juli 1922</div>
<div align="center"> Der Gerichtsschreiber des Landgerichts.</div>
<div align="center">eigenhändige Unterschrift</div>

Aktuelle Version vom 8. März 2024, 22:50 Uhr

Gesuch um Akteneinsicht

Datum

30.06.1922

Ort

Neuburg/D

Art des Dokumentes

Beschluß der Zivilkammer des Landgerichts Neuburg/Donau in der Erbsache Gabriel auf die Beschwerde vom 14.06.1922

Verfasser

Zivilkammer des Landgerichts Neuburg/Donau

Verfasst für

Landgericht Neuburg/D

Quelle

Staatsarchiv München AG Schrobenhausen NR 1922/41-43

Inhalt

Beschw. Reg. Nr. 41/22
Neuburg a. D. , 30. Juni 1922



B e s c h l u ß

der Zivilkammer des Landgerichts Neuburg a. D. Vom 30. Juni
1922


in der Nachlaßsache

Der Gütlerswitwe Viktoria G a b r i e l von Hinterkaifeck (Gemeinde Gröbern)
auf die Beschwerde des Rechtsanwalt JR Graf in Neuburg a. D. vom 14. Juni 1922:


I. Die Beschwerde des Gütlers Karl G a b r i e l gegen den Beschluß des Amtsgerichts (Nachlaßgericht) Schrobenhausen vom 7. Juni bezüglich Ausstellung eines Erbscheins wird als unbegründet zurückgewiesen.
II. Der Beschwerdeführer Karl Gabriel hat die durch die Beschwerde verursachten Kosten zu tragen.

G r ü n d e  :

Wie gerichtsbekannt ist, wurden in der Nacht vom 31.3./1.4.1922 in dem Einödanwesen Hinterkaifeck die sämtlichen Bewohner desselben ermordet und zwar die Anwesensbesitzerin Viktoria Gabriel, ihre 7 jährige eheliche Tochter Zäzilie Gabriel, ihre leiblichen Eltern, die Austräglerseheleute Andreas und Zäzilie Gruber sowie noch 2 weitere, hier nicht interessierende Personen.
Nach durchgeführten Nachlaßverhandlungen wurde vom zuständigen Nachlaßgericht, dem Amtsgericht Schrobenhausen am 7. Juni 1922 zu den Akten Erbschein ausgestellt, in dem bezeugt wird, daß die vom 31.3./1.4.1922 oder um diese Zeit herum in Hinterkaifeck verstorbene Bauerswitwe Viktoria Gabriel, geb. Gruber von dort aufgrund Gesetzes von den folgenden Personen beerbt worden ist und zwar von:
1.Zäzilia Starringer, Gütlersfrau in Gerenzhausen Gemeinde Gerolsbach zu ½ -zur Hälfte-,
2.Anna Gruber, led. Dienstmagd in Greinstetten Amtsgericht Pfaffenhofen
3.Josef Gruber, Taglöhner in Pfaffenhofen
4.Bernhard Gruber, Gütler in Strobenried

zu je 1/10 -einem Zehntel-

5.Josef Starringer, Gütlerssohn in Schachach Gde. Gerolsbach
6.Maria Starringer, Dienstmagd in Lichthausen Gde. Gerolsbach

zu je 1/20 -einem Zwanzigstel-

7.Theres Gruber, Gütlerstochter in Greinstetten
8.Maria Wagner, geb. Gruber, Sattlersfrau in Grüntegerbach Amtsgericht Dorfen
9Leonhard Gruber, Gütlerssohn in Greinstetten
10.Peter Gruber, Gütlerssohn in Greinstetten
11.Michael Gruber, Gütlerssohn in Greinstetten

zu je 1/50 -einem Fünfzigstel-



Gegen diesen Beschluß hat JR. Graf namens des väterlichen Großvaters des Kindes Zäzilie Gabriel Beschwerde eingelegt mit folgendem Antrag:
1. Die Ausstellung des Erbscheins vom 7. Juni 1922 als unzulässig aufzuheben,
2. eventuell: den Erbschein von amtswegen einzuziehen und, wenn derselbe schon erteilt sein sollte und nicht erlangt werden kann, durch Beschluß für kraftlos zu erklären, evtl. das Nachlaßgericht anzuweisen den Erbschein einzuziehen oder, wenn er nicht sofort erlangt werden kann, aber schon erteilt sein sollte, für kraftlos zu erklären.
Nach der Behauptung in der Beschwerde ist das Nachlaßgericht zu dieser Festsellung gekommen, weil es angenommen hat, daß die Tochter Zäzilie Gabriel mit ihrer Mutter Viktoria Gabriel in einer „gemeinsamen Gefahr“ im Sinne des § 20 BGB. umgekommen sei, weshalb Mutter und Tochter als gleichzeitig gestorben anzusehen seien und die Tochter für die Erbfolge auszuscheiden habe.
Der Beschwerdeführer Karl Gabriel als Großvater der Zäzilie Gabriel väterlicherseits dagegen behauptet, daß das Kind Zäzilie Gabriel seine Mutter allein beerbt habe; er als Großvater dieses Kindes sei dessen Alleinerbe und gebühre xxx allein der Nachlaß der Viktoria Gabriel. Wegen der näheren Begründung dieser Beschwerde (auch in formeller Beziehung) wird auf Ausführungen der genannten Beschwerdeschrift vom 14. Juni 1922 hierher Bezug genommen.
Die Beschwerde ist in formeller Beziehung nicht zu beanstanden, soweit sie gerichtet ist auf Einziehung -Kraftloserklärung kommt nach Laage der Sache nicht in Betracht – Unzulässig ist jedoch der primäre Antrag auf Aufhebung der Ausstellung des Erbscheins; cf. § 2361, 2362 BGB. RE Bd. 61 S. 277, Beschluß des Obersten Landesgerichts, Samml. d. E. Bd. 2 S. 725 Schneider FGG zu § 80 Anm. 2; § 20 FGG.
Sachlich ist die Beschwerde unbegründet.
Auch das Beschwerdegericht ist der Anschauung, daß die in der fraglichen Nacht ermordeten 6 Personen in einer „gemeinsamen Gefahr“ im Sinne des § 20 BGB. Umgekommen sind, so daß kraft Gesetzes zu vermuten ist, daß sie gleichzeitig gestorben sind.
Die Annahme einer gemeinsamen Gefahr hat zur Voraussetzung, daß das Ereignis, welches die Gefahr herbeigeführt hat ein und dasselbe ist. Es muß sich um eine äußere Gefahr, einen das Leben bedrohenden Unglücksfall handeln;ein und diesselbe Gefahr, ein und diesselbe Bedrohung des Lebens muß sich für die Betroffenen verwirklicht haben: z. B. Schiffsuntergang, Brand, schlagende Wetter in einem Bergwerk. Der Begriff der gemeinsamen Gefahr darf jedoch auch nicht zu eng gefaßt werden. cf. Standinger zu § 20 BGB. Anm. 3 Ziffer 2 und Plank Komm xxx.
Der Raubüberfall und die Ermordung der sämtlichen Einwohner des Einzelhofes in Hinterkaifeck in der Mordnacht sind als ein einziges Ereignis als ein Ganzes anzusehen, wenn auch die 6 Menschen nicht in einer Minute den tödlichen Schlag erhalten haben mögen, sondern jedenfalls aber in ganz kurzen Zeiträumen nach einander abgeschlachtet wurden. Die Gesamtheit der Vorgänge in jener Nacht kann nicht auseinander gerissen werden, sondern ist als die gemeinsame Gefahr, in welcher alle Insassen das Leben verloren haben anzusehen.
Die gesetzliche Vermutung des § 20 BGB. spricht also dafür, daß die in dieser Nacht Erschlagenen gleichzeitig gestorben sind.
Diese Vermutung ist durch die gepflogenen Erhebungen bis jetzt nicht widerlegt. Der Beschwerdeführer muß selbst zugeben, daß zur Zeit ein direkter Nachweis dafür, daß die Zäzilie Gruber nach ihrer Mutter gestorben ist nicht erbringen läßt. Die in der Beschwerde angeführten Umstände, die dafür sprechen sollen, daß das Kind nach seiner Mutter gestorben ist, sind nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung zu entkräften. Es handelt sich um nichts weiter als Vermutungen. Der Beschwerdeführer übersieht, daß auch, wenn feststehen würde, in welcher Reihenfolge den Ermordeten von dem oder den Tätern der tötliche Schlag beigebracht wurde damit noch nicht mit Sicherheit feststehen würde, daß auch der Tod in dieser Reihenfolge eingetreten ist. Es ist leicht denkbar, daß die Mutter Viktoria Gabriel trotz der zuerst empfangenen tötlichen Verletzung noch einige, wenn auch kúrze Zeit gelebt hat, während das Kind sofort nach Erhalt des Schlages verschieden ist.
Das Beschwerdegericht teilt deshalb aufgrund des § 20 BGB. die Annahme des Nachlaßgerichts, daß die Mutter und das Kind gleichzeitig gestorben sind und daher die Zäzilia Gabriel für die Erbfolge auszuscheiden hat.
Erbe kann nur werden, wer zur Zeit des Erbfalles lebt § 1923 BGB. Hat das Kind seine Mutter nicht überlebt, so kann es sie nicht beerbt haben. Damit ist aber dem Anspruch des Antragstellers jeder Boden entzogen, denn er gründet seine Ansprüche an den Nachlaß und seine Einwendungen gegen den ausgestellten Erbschein einzig und allein darauf, daß das Kind seine Mutter überlebt hat.
Die Ausstellung des Erbscheins durch das Nachlaßgericht auf die dort aufgeführten Erben ist demnach mit Recht erfolgt und war deshalb die erhobene Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen mit der Folge, daß die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Beschwerdeführer, der sie verursacht hat, zur Last fallen. Art. 131 AG. z. BGB.
gez. Matthäus st. LGDir. Scheidle LGRat Hirschböck LGRat

Vorstehende Ausfertigung lautet gleich der Urschrift. Eine Ausfertigung vorstehenden Beschlußes wurde dem Beschwerdeführer, RA JR. Graf von amtswegen zugestellt.
Neuburg a. D. , den 8. Juli 1922
Der Gerichtsschreiber des Landgerichts.
eigenhändige Unterschrift