Dokumente: 1922-08-22 Beschluß des obersten bayer. Landgericht in München in Erbsachen Gabriel: Unterschied zwischen den Versionen
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Unbestrittenermaßen hat das Nachlaßgericht den von, den Beteiligten erbetenen Erbschein lediglich zu den Akten ausgestellt, eine Bekanntgabe desselben an die Antragsteller durch Zustellung einer Ausfertigung des Erbscheins aber unterlassen und nur dem Finanzamt zum. Zwecke der Umschreibung des Katasters vom Inhalt des Erbscheins Mitteilung gemacht.<br>Es kann nun unerörtert bleiben, ob schon in dieser Bekanntgabe die Erteilung des Erbscheins nach § 2353 BGB. zu erblicken ist und wenn nicht, ob ein Erbschein erst dann als erteilt gilt, wenn dem Antragsteller der Beschluß des Nachlaßgerichts über die Erteilung des Erbscheins zugegangen ist - eine Rechtsanschauung, welche der Senat in ständiger Rechtsprechung vertritt -(s.Sammlung Bd. II S.543, Bd.XVIII A S.180, Bd.XIX A 211), sonach aber der primär gestellte Antrag und nicht, wie das. Beschwerdegericht annimmt, der Eventualantrag auf Einziehung zulässig ist. Denn die weitere Beschwerde ist in Ansehung der sämtlichen gestellten Anträge unbegründet. <br>Die Annahme des Landgerichts, daß die Gütlerswitwe Viktoria Gabriel und ihr Töchterchen in einer gemeinsamen Gefahr umgekommen und deshalb nach gesetzlicher Vermutung - bis zur Erbringung des Gegenbeweises - gleichzeitig gestorben sind (§ 20 BGB.) muß die Billigung des Senats finden.<br> | Unbestrittenermaßen hat das Nachlaßgericht den von, den Beteiligten erbetenen Erbschein lediglich zu den Akten ausgestellt, eine Bekanntgabe desselben an die Antragsteller durch Zustellung einer Ausfertigung des Erbscheins aber unterlassen und nur dem Finanzamt zum. Zwecke der Umschreibung des Katasters vom Inhalt des Erbscheins Mitteilung gemacht.<br>Es kann nun unerörtert bleiben, ob schon in dieser Bekanntgabe die Erteilung des Erbscheins nach § 2353 BGB. zu erblicken ist und wenn nicht, ob ein Erbschein erst dann als erteilt gilt, wenn dem Antragsteller der Beschluß des Nachlaßgerichts über die Erteilung des Erbscheins zugegangen ist - eine Rechtsanschauung, welche der Senat in ständiger Rechtsprechung vertritt -(s.Sammlung Bd. II S.543, Bd.XVIII A S.180, Bd.XIX A 211), sonach aber der primär gestellte Antrag und nicht, wie das. Beschwerdegericht annimmt, der Eventualantrag auf Einziehung zulässig ist. Denn die weitere Beschwerde ist in Ansehung der sämtlichen gestellten Anträge unbegründet. <br>Die Annahme des Landgerichts, daß die Gütlerswitwe Viktoria Gabriel und ihr Töchterchen in einer gemeinsamen Gefahr umgekommen und deshalb nach gesetzlicher Vermutung - bis zur Erbringung des Gegenbeweises - gleichzeitig gestorben sind (§ 20 BGB.) muß die Billigung des Senats finden.<br> | ||
Eine gemeinsame Gefahr im Sinne des § 20 a.a.O. ist die für eine Mehrheit von Menschen mit einem und demselben Geschehnis entstandene außergewöhnliche Bedrohung des Lebens (s.Arch.f.Civ.Pr.Bd.93 S.485), es muß sich um einen äußeren gleichzeitig das Leben mehrerer Menschen bedrohenden Vorgang handeln: ein solcher kann :nicht nur in einen Unglücksfall (Überschwemmung, Brand, Erdbeben, Seenot) | Eine gemeinsame Gefahr im Sinne des § 20 a.a.O. ist die für eine Mehrheit von Menschen mit einem und demselben Geschehnis entstandene außergewöhnliche Bedrohung des Lebens (s.Arch.f.Civ.Pr.Bd.93 S.485), es muß sich um einen äußeren gleichzeitig das Leben mehrerer Menschen bedrohenden Vorgang handeln: ein solcher kann :nicht nur in einen Unglücksfall (Überschwemmung, Brand, Erdbeben, Seenot) sondern auch in einem Verbrechen liegen. das sich gleichzeitig ,gegen mehrere Personen richtet und auf die Tötung derselben abzielt. Dies trifft aber im gegebenen Falle zu. <br> | ||
Gleichgiltig ist es (s. Ortmann 5 20, 2), ob die mehreren Personen gleichzeitig oder nacheinander von der Gefahr betroffen wurden, nicht aber ist es gleichgiltig, ob die Vernichtung der Opfer zu gleicher Zeit geschah resp. hat geschehen können oder nicht; nur wenn feststeht, daß der Tod nicht gleichzeitig eingetreten sein kann, muß die Vermutung des. § 20 entfallen (s.Arch.f.Civ.Pr.Bd. 107 S.368).<br> | Gleichgiltig ist es (s. Ortmann 5 20, 2), ob die mehreren Personen gleichzeitig oder nacheinander von der Gefahr betroffen wurden, nicht aber ist es gleichgiltig, ob die Vernichtung der Opfer zu gleicher Zeit geschah resp. hat geschehen können oder nicht; nur wenn feststeht, daß der Tod nicht gleichzeitig eingetreten sein kann, muß die Vermutung des. § 20 entfallen (s.Arch.f.Civ.Pr.Bd. 107 S.368).<br> | ||
Jn welcher Reihenfolge die Bewohner des Anwesens in Hinterkaifeck von den Raubmördern oder dem einzigen Täter tötlich verletzt wurden und in welchem Zeitpunkt die einzelnen Opfer ihr Leben ließen, ist zur Zeit völlig im Dunkeln. Ob diese Frage bei Ermittlung der Täter jemals eine zweifelsfreie Lösung finden wird, kann dahin gestellt bleiben. Zur Zeit steht nur soviel fest, daß anlässlich des im besagten Anwesen verübten Verbrechens dessen sämtliche Jnwohner getötet wurden; nach der Rechtsvermutung des § 20 BGB. müssen dieselben deshalb als gleichzeitig gestorben erachtet werden. Die Vorschrift des § 2356 BGB. steht der Ausstellung des beantragten Erbscheins nicht entgegen . Allerdings hat der Antragsteller nach § 2356 Abs.1 Satz 1 a.a.O. durch öffentliche Urkunden nachzuweisen, in welcher Weise die Person weggefallen ist, durch die er von der Erbfolge ausgeselassen wurde (§ 2354 Abs.2). Allein mangels solcher Urkunden genügtt gemäß §t 2356 Abs. I S.2 die Angabe anderer Beweismittel und als ein solches Beweismittel muß die dem Antragsteller im gegebenen Fall gemäß §20 BGB. zur Seite stehende Rechtsvermutung gelten. <br> | Jn welcher Reihenfolge die Bewohner des Anwesens in Hinterkaifeck von den Raubmördern oder dem einzigen Täter tötlich verletzt wurden und in welchem Zeitpunkt die einzelnen Opfer ihr Leben ließen, ist zur Zeit völlig im Dunkeln. Ob diese Frage bei Ermittlung der Täter jemals eine zweifelsfreie Lösung finden wird, kann dahin gestellt bleiben. Zur Zeit steht nur soviel fest, daß anlässlich des im besagten Anwesen verübten Verbrechens dessen sämtliche Jnwohner getötet wurden; nach der Rechtsvermutung des § 20 BGB. müssen dieselben deshalb als gleichzeitig gestorben erachtet werden. Die Vorschrift des § 2356 BGB. steht der Ausstellung des beantragten Erbscheins nicht entgegen . Allerdings hat der Antragsteller nach § 2356 Abs.1 Satz 1 a.a.O. durch öffentliche Urkunden nachzuweisen, in welcher Weise die Person weggefallen ist, durch die er von der Erbfolge ausgeselassen wurde (§ 2354 Abs.2). Allein mangels solcher Urkunden genügtt gemäß §t 2356 Abs. I S.2 die Angabe anderer Beweismittel und als ein solches Beweismittel muß die dem Antragsteller im gegebenen Fall gemäß §20 BGB. zur Seite stehende Rechtsvermutung gelten. <br> |
Version vom 28. September 2022, 13:52 Uhr
Detailinformationen
Datum
22.08.1922
Ort
München
Art des Dokumentes
Antwortschreiben vom Obersten Landesgericht
Verfasser
Oberstes Landesgericht
Quelle
Staatsarchiv München, AG Schrobenhausen NR 1922/41-43
Inhalt
Reg III. Nr. 75/1922 Zum Abdruck bestimmt
Beschluß.
Auf die weitere Beschwerde des Gütlers Karl Gabriel in Laag gegen den Beschloss des Landgerichts Neuburg a.D. vom 30. Juni 1922 in der Nachlaßsache der Gütlerswitwe Viktoria Gabriel von Hinterkaifeck beschließt das Oberste Landesgericht -Ferienzivilsenat - unter Mitwirkung des Präsidenten Staatsrats Dr. von Unzner und der Räte Ulrich, Knauer, Dr. Silberschmidt und Dr. Engelmann in der Sitzung vom 29 Juli 1922: Zum Abdruck bestimmt
Beschluß.
Auf die weitere Beschwerde des Gütlers Karl Gabriel in Laag gegen den Beschloss des Landgerichts Neuburg a.D. vom 30. Juni 1922 in der Nachlaßsache der Gütlerswitwe Viktoria Gabriel von Hinterkaifeck beschließt das Oberste Landesgericht -Ferienzivilsenat - unter Mitwirkung des Präsidenten Staatsrats Dr. von Unzner und der Räte Ulrich, Knauer, Dr. Silberschmidt und Dr. Engelmann in der Sitzung vom 29 Juli 1922: I. Die weitere Beschwerde des Karl Gabriel wird als unbegründet zurückgewiesen. Gründe:
Jr. der Nacht vom 31. März auf 1. April 1922 wurden im Einödsanwesen Hinterkaifeck die sämtlichen Bewohner desselben, darunter die verwitwete Anwesensbesitzerin Viktoria Gabriel, ihre siebenjährige Tochter Zäzilie Gabriel und ihre leiblichen Eltern, die Austräglerseheleute Andreas und Zäzilie Gruber ermordet. I. Die weitere Beschwerde des Karl Gabriel wird als unbegründet zurückgewiesen. Gründe:
Jr. der Nacht vom 31. März auf 1. April 1922 wurden im Einödsanwesen Hinterkaifeck die sämtlichen Bewohner desselben, darunter die verwitwete Anwesensbesitzerin Viktoria Gabriel, ihre siebenjährige Tochter Zäzilie Gabriel und ihre leiblichen Eltern, die Austräglerseheleute Andreas und Zäzilie Gruber ermordet. Aber selbst wenn man annehme, daß Mutter und Tochter in einer gemeinsamen Gefahr gemäß 5 20 BGB. umgekommen wären, erscheine die Ausstellung des Erbscheins unbegründet, denn nach § 2354 BGB. habe derjenige, der die Ausstellung des Erbscheins als gesetzlicher Erbe beantragt, anzugeben, in welcher Weise die Personen, durch die der Antragsteller von der Erbfolge ausgeschlossen in Wegfall gekommen seien und die Richtigkeit dieser. Angaben nach § 2356 BGB. in erster Linie durch öffentliche Urkunden und ausnahmsweise durch Angabe anderer Beweismittel nachzuweisen. Das Landgericht Neuburg a.D. wies durch Beschluß -vom 20.04.1922 die Beschwerde des Karl Gabriel gegen den Beschluß des Amtsgerichts Schrobenhausen vom 7. Juni 1922 zurück und überbürdete die durch das Rechtsmittel verursachten Kosten dem Beschwerdeführer. Unbestrittenermaßen hat das Nachlaßgericht den von, den Beteiligten erbetenen Erbschein lediglich zu den Akten ausgestellt, eine Bekanntgabe desselben an die Antragsteller durch Zustellung einer Ausfertigung des Erbscheins aber unterlassen und nur dem Finanzamt zum. Zwecke der Umschreibung des Katasters vom Inhalt des Erbscheins Mitteilung gemacht.
Dr.Engelmann ist beurlaubt und deshalb an der Unterzeichnung verhindert. gez. Unzner. Der Gerichtsschreiber des Obersten Landesgerichts |