Editoren, Bürokraten
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[[Datei:AmStein1953.jpg|thumb]] | |||
[[Datei: | „Dort geht der Mörder!” raunen die Leute auf der Straße und drehen sich nach ihm um. Fünf Jahre war er im Außendienst des Wohnungsamtes tätig. Jeder zweite kennt ihn daher in der kleinen Stadt. | ||
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deutet zu einer schmalen eisernen Treppe hinüber. | Die grauenvolle Bluttat auf dem bayerischen Einödhof Hinterkaifeck — sechs Menschen erschlagen, eine ganze Familie ausgerottet — ist seit dreißig Jahren ungesühnt und rätselhaft geblieben. WELTBILD —Reporter suchten im vorigen Jahr (Weltbild Nr. 7/1952) einen Priester auf, dem eine Frau auf dem Totenbett anvertraut hatte, dass ihre beiden Brüder die Mörder gewesen seien. Die Staatsanwaltschaft griff ein und verhaftete den überlebenden Bruder. Und jetzt melden Rundfunk und Presse: Endlich der Mörder gefunden, aber wegen Verjährung der Tat in Freiheit gesetzt! Unsere Reporter G. Gronefeld und H. Ulrich haben mit jenem Mann gesprochen, der wegen des furchtbaren Verbrechens über Nacht zum Geächteten wurde. <br><br> | ||
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Wir sind aufgeregt. Wir besuchen ja in dieser bayerischen [[ | [[Datei:Anton Gump WB 1953.PNG|thumb|Anton Gump]] | ||
<b>Sie nennen mich Mörder</b><br> | |||
Es fehlte kein [[Sachverhalte: Nach der Tat vorhandenes Geld|Geld]], es fehlten nur geräuchertes Fleisch und Eier. Aus einer Brieftasche wurde etwas genommen, sonst war nichts durchwühlt. Und wie [[Sachverhalte: Tatort|merkwürdig]]: das Vieh wurde die drei Tage nach das Mordtat immer gefüttert. | Ohne den Schatten eines Beweises! <br> | ||
„Ich bin unschuldig!" beteuert Anton Gump, der 65 jährige Rentner, der wochenlang in Untersuchungshaft schwersten Verhören unterzogen wurde. „Ich habe mein ganzes Leben ehrlich gearbeitet. Wenn meine Schwester wirklich mich und meinen toten Bruder Adolf mit ihrer Bezichtigung gemeint haben sollte, so kann ich nur sagen: Mit meinem Bruder war sie verfeindet, und ich habe sie seit meinem 13. Lebensjahr ganze zweimal gesehen. Wie konnte sie zu einer solch furchtbarer Anschuldigung kommen."<br> | |||
[[Datei:Ehepaar Gump 1953.jpg|thumb|Ehepaar Gump]] | |||
<b>Wie ein Blitzschlag</b> trifft dieses Ehepaar die Rundfunkmeldung, man habe den Mörder von Hinterkaifeck. „Auf Silvester, beim Halmaspielen, hören wir es. Wir atmen beide auf. Gott sei Dank! ruf ' ich aus. Da merke ich entsetzt: Ich selber bin ja gemeint!" Ein hinter die Kirche geducktes Haus, grau, mit langen Reihen kleiner Fenster. Ein Scheunentor führt hinein. Wo wohnt Herr Gump? Eine Frau deutet zu einer schmalen eisernen Treppe hinüber. „Da oben!" Lüstern, neugierig schaut sie uns an. „Ich hab es in der Zeitung gelesen", sagt sie, „der Frau soll es sein, sagen die Leute . . ." Die eiserne Treppe wankt unter unserm Gewicht. Dann lesen wir an der Tür: Gump!<br> | |||
Wir sind aufgeregt. Wir besuchen ja in dieser bayerischen Kleinstadt einen Mörder.<br><br><br> | |||
[[Datei:Herr Leykam WB 1953.PNG|thumb|Herr Leykam]] | |||
<b>Zwölf Jahre lang,</b> schon 1922, habe ich in der Fabrik neben Gump Anton gesessen", sagt Herr Leykam, ein Arbeitskollege. „Da lernt man einen Menschen kennen. Er war immer vergnügt. Hab' nie was bemerkt. Für den leg ich meine Hand ins Feuer!"<br><br><br> | |||
[[Datei:Bauer Thoma Schönbichl.PNG|thumb|Bauer Thoma]] | |||
<b>„Die größten Räusche</b>haben wir miteinander gehabt", erzählt der Bauer Thoma in Schönbichl vom verstorbenen Adolf Gump, der viele Jahre bei ihm gewohnt hat. „Nie was Verdächtiges gehört. Im Rausch hätte er bestimmt nicht den Mund gehalten."<br><br><br> | |||
[[Datei:Johann Liebl Augsburg.PNG|thumb|Johann Liebl]] | |||
<b>„Hören sie mir auf</b>mit dem Totenbettgeständnis!" Gumps Schwager Herr Liebl, war vor dem Krieg in Amerika und las dort Briefe der Verstorbenen an einen Onkel. „Sie strotzten nur so von Verleumdungen. Wie kann man diese Person ernst nehmen!"<br> | |||
"Eine Bestie in Menschengestalt", hat ihn eine Zeitung genannt. Sechs Menschen sind damals, am 31. März 1922, erschlagen worden. [[Hinterkaifeck|Hinterkaifeck]], das war ein Einödshof, fünfhundert Meter vom nächsten Dorf weg, zwischen Augsburg und Ingolstadt. Der Bauer [[Personen: Gruber Andreas|Gruber]] hauste darin mit seiner Familie, [[Familie Gruber|seltsame]], abweisende, etwas verrufene Leute. Die zwei Kinder auf dem Hof waren in [[Sachverhalte: Strafprozess wegen Blutschande gegen Andreas Gruber und Viktoria Gabriel 1915|Blutschande]] gezeugt. Aber Geld hatten die Leute, [[Sachverhalte: Vor der Tat vorhandenes Geld|viel Geld]], in Papier, Silber und Gold. Und davon fehlte nichts, gar nichts, als man den Mord entdeckte. Die Leichen des alten Bauern und seiner [[Personen: Gruber Cäzilia|Frau]], der Tochter [[Personen: Gabriel Viktoria|Viktoria]] und der siebenjährigen [[Personen: Gabriel Cäzilia|Cäcilie]] lagen in der [[Sachverhalte: Die 5 Tatortbilder|Scheune]] neben der Stalltür. Alle mit einer [[Sachverhalte: Reuthaue|Hacke]] erschlagen. Dem kleinen [[Personen: Gruber Josef|Josef]], dreijährig, war durch das Dach des Kinderwagens der Schädel zertrümmert worden, die [[Personen: Baumgartner Maria|Magd]] lag tot in ihrer Kammer.<br>Es fehlte kein [[Sachverhalte: Nach der Tat vorhandenes Geld|Geld]], es fehlten nur geräuchertes Fleisch und Eier. Aus einer Brieftasche wurde etwas genommen, sonst war nichts durchwühlt. Und wie [[Sachverhalte: Tatort|merkwürdig]]: das Vieh wurde die drei Tage nach das Mordtat immer gefüttert. | |||
Aus zwei Liegeplätzen im Heu schloß man auf zwei Mörder. Zahlreiche [[Sonstiges: Tatverdächtige|Verdächtige]] wurden verhaftet, aber weil das Verbrechen erst an vierten Tage entdeckt wurde und frischer Schneefall [[Sachverhalte: Vorkommnisse vor der Tat|Spuren]] verwischte, versagten selbst die Hunde der Polizei. Haß und Rache tobten sich alsbald in der Gegend aus. Eine [[Personen: Pfleger Maria jun.|Tochter]] zeigte ihren [[Personen: Pfleger Josef|Vater]] an, er sei der Mörder von Hinterkaifeck, und der alte Mann saß drei Monate, bis sich seine Unschuld herausstellte. | Aus zwei Liegeplätzen im Heu schloß man auf zwei Mörder. Zahlreiche [[Sonstiges: Tatverdächtige|Verdächtige]] wurden verhaftet, aber weil das Verbrechen erst an vierten Tage entdeckt wurde und frischer Schneefall [[Sachverhalte: Vorkommnisse vor der Tat|Spuren]] verwischte, versagten selbst die Hunde der Polizei. Haß und Rache tobten sich alsbald in der Gegend aus. Eine [[Personen: Pfleger Maria jun.|Tochter]] zeigte ihren [[Personen: Pfleger Josef|Vater]] an, er sei der Mörder von Hinterkaifeck, und der alte Mann saß drei Monate, bis sich seine Unschuld herausstellte. | ||
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Wir zeigen ihm die "Warnung", die er selbst in der Zeitung veröffentlicht hatte: "Im Zusammenhang mit der Mordtat von Hinterkaifeck und den diesbezüglichen Presseberichten wurde in Ingolstadt und auswärts mein Name genannt. Ich werde jeden gerichtlich belangen, der mich mit der genannten Tat mündlich oder schriftlich in irgendeine Verbindung bringt. Ich bin mir keinerlei Schild bewusst und werde versuchen, auf dem Prozesswege meine Unschuld zu beweisen." | Wir zeigen ihm die "Warnung", die er selbst in der Zeitung veröffentlicht hatte: "Im Zusammenhang mit der Mordtat von Hinterkaifeck und den diesbezüglichen Presseberichten wurde in Ingolstadt und auswärts mein Name genannt. Ich werde jeden gerichtlich belangen, der mich mit der genannten Tat mündlich oder schriftlich in irgendeine Verbindung bringt. Ich bin mir keinerlei Schild bewusst und werde versuchen, auf dem Prozesswege meine Unschuld zu beweisen." | ||
Gump spricht stockend, er sucht nach Worten, es fällt ihm schwer, fließend zu reden. Seine Worte sind einfach, vom Augenblick eingegeben, nicht vorbedacht. Dieser Mann soll "versiert" sein? Wir verstehen den Staatsanwalt nicht. | Gump spricht stockend, er sucht nach Worten, es fällt ihm schwer, fließend zu reden. Seine Worte sind einfach, vom Augenblick eingegeben, nicht vorbedacht. Dieser Mann soll "versiert" sein? Wir verstehen den Staatsanwalt nicht. | ||
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Und dann erfahren wir die scheußlichsten Dinge über die Tote, von allen bezeugt, so schlimm, daß es uns ekelt vor so viel Niedertracht und menschlicher Kälte. Es ist unmöglich, alles das öffentlich auszubreiten, es genügt, wenn bezeugt wird, daß Frau Centa Meier ihren sterbenden Vater dafür geprügelt hat, daß er nicht reinlich genug war, daß sie ihm die Blumen aus der Hand riß und zerstampfte, weil Schwester Tina uns Schwester Rosa sie dem Vater mitgebracht hatten. Das letzte Wort des Vaters über seine Tochter Centa ist gewesen: | Und dann erfahren wir die scheußlichsten Dinge über die Tote, von allen bezeugt, so schlimm, daß es uns ekelt vor so viel Niedertracht und menschlicher Kälte. Es ist unmöglich, alles das öffentlich auszubreiten, es genügt, wenn bezeugt wird, daß Frau Centa Meier ihren sterbenden Vater dafür geprügelt hat, daß er nicht reinlich genug war, daß sie ihm die Blumen aus der Hand riß und zerstampfte, weil Schwester Tina uns Schwester Rosa sie dem Vater mitgebracht hatten. Das letzte Wort des Vaters über seine Tochter Centa ist gewesen: | ||
"Die hat nicht einen Teufel im Leib, sondern hundert."<br> | "Die hat nicht einen Teufel im Leib, sondern hundert."<br> | ||
Als Schwester Tina die Tobende einmal zur Rede stellt, wie sie den Vater so schrecklich behandeln könne, schreit sie: "Ich bin ja gar keine Tochter net von eurem Vater." Sie beschimpft die tote Mutter, bezichtigt sie eines Seitensprungs mit | Als Schwester Tina die Tobende einmal zur Rede stellt, wie sie den Vater so schrecklich behandeln könne, schreit sie: "Ich bin ja gar keine Tochter net von eurem Vater." Sie beschimpft die tote Mutter, bezichtigt sie eines Seitensprungs mit dem Vater desselben Adolf Meier, den sie geheiratete hat. Die Meiers haben neben dem Hause der Gumps gewohnt. "Unsere Mutter ist eine gute Mutter gewesen", weint Schwester Tina. Wir hören von Prügeleinen, die diese Centa angezettelt hat, um derentwillen sie stadtbekannt war, wir hören davon, wie Meiers von Wohnung zu Wohnung ziehen mußten, weil Centa überall die Menschen verleumdete, wir hören, daß Centa Jahre vor dem ersten Weltkrieg von einem Sturz aus dem Heuboden eine schwere Kopfverletzung davontrug und auf eigene Verantwortung ungeheilt entlassen wurde. | ||
Zuletzt besuchen wir noch jenes Cafè in Augsburg, wo Centa Meier einmal Hausmeisterin war. Die Besitzerin erinnert sich bald. "Herrgott, das war doch die, die so unglaublich schmutzig war. Gestohlen hat sie, Und sonst war es auch nicht richtig bei ihr. Ja, die haben wir sehr schnell wieder entlassen ... Ja, die ... wenn es die ist, die Sie meinen, dann kann ich Ihnen nur sagen, daß bei ihrer angeborenen teuflisch Art alles Lug und Trug war, was sie gebeichtet hat." | Zuletzt besuchen wir noch jenes Cafè in Augsburg, wo Centa Meier einmal Hausmeisterin war. Die Besitzerin erinnert sich bald. "Herrgott, das war doch die, die so unglaublich schmutzig war. Gestohlen hat sie, Und sonst war es auch nicht richtig bei ihr. Ja, die haben wir sehr schnell wieder entlassen ... Ja, die ... wenn es die ist, die Sie meinen, dann kann ich Ihnen nur sagen, daß bei ihrer angeborenen teuflisch Art alles Lug und Trug war, was sie gebeichtet hat." | ||
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Wir haben weiter gesucht. Wir dachten an [[Sonstiges: Tatmotive|Eifersucht]]. Aber war es denkbar, daß einer aus Eifersucht eine ganze Familie ausrottet und daß ihm dabei der unbeteiligte Bruder hilft? Wir haben geforscht und haben einen Zeugen gefunden, der die Grubers gut gekannt hat. Was dieser Mann aussagt, deutet auf Rache, aber weit weg von den Brüdern Gump. Der Staatsanwalt ist eine Spur zu Ende gegangen. Er muß umkehren und weitere Spuren verfolgen, vielleicht lassen sie sich noch einmal auffrischen, vielleicht ergeben sich zwischen ihnen Zusammenhänge. Der Name Hinterkaifeck bleibt auch nach dreißig Jahren in rätselhaftes Dunkel gehüllt.<br> | Wir haben weiter gesucht. Wir dachten an [[Sonstiges: Tatmotive|Eifersucht]]. Aber war es denkbar, daß einer aus Eifersucht eine ganze Familie ausrottet und daß ihm dabei der unbeteiligte Bruder hilft? Wir haben geforscht und haben einen Zeugen gefunden, der die Grubers gut gekannt hat. Was dieser Mann aussagt, deutet auf Rache, aber weit weg von den Brüdern Gump. Der Staatsanwalt ist eine Spur zu Ende gegangen. Er muß umkehren und weitere Spuren verfolgen, vielleicht lassen sie sich noch einmal auffrischen, vielleicht ergeben sich zwischen ihnen Zusammenhänge. Der Name Hinterkaifeck bleibt auch nach dreißig Jahren in rätselhaftes Dunkel gehüllt.<br> | ||
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