München, 8.7.1930: Schlittenbauer stand soweit hier bekannt, schon gleich nach dem Mord in Verdacht. Die in dieser Richtung eingeleiteten Erhebungen führten zu keinem positiven Ergebnis.
München 8.8.1930: Vernehmung des Schreiners Wenzeslaus Bley.
Auf Einladung erscheint der Schreiner Wenzeslaus Bley, geboren am 16.10.1884 in Waidhofen. Die Angaben des Kammers sind zum Teil richtig, zum Teil sind sie von ihm falsch verstanden und deshalb unrichtig, wiedergegeben.
Bezüglich des Gespräches des alten Gruber in der Eisenhandlung in Schrobenhausen: In der Wirtschaft wurde gesagt dass Gruber am Tage vor dem Mord in Schrobenhausen in einer Eisenhandlung Vogel war. Dort sagte er, er müsse schauen, dass er wieder heimkomme, denn er fürchte, dass in seinem Hause etwas nicht in Ordnung sei. Weiter sagte er, während der vergangenen Nacht ist keine Ruhe gewesen, die ganze Nacht habe ich im Boden droben etwas gehört, wie wenn jemand herumgehe, ich bin auch hinauf gegangen mit Licht, habe aber nichts gesehen. Fürchten tue ich mich nicht. Ich habe mein Gewehr schon hergerichtet. Inder Früh habe ich sogar eine, Spur, im Neuschnee gesehen, die in das Haus führte. Aber eine Spur, die vom Haus wegführte, habe ich nicht gesehen. Er meinte dann, der Einbrecher werde schon wieder hinaus sein. Er machte dann seine Einkäufe. Auch die Tochter des Gruber, verwitwete Gabriel war an dem Nachmittag in Schrobenhausen und hat dort in einem Geschäft, wo weiß ich nicht, ähnliche Äußerungen gemacht Ich glaube aber, dass es der Sigl von Gröbern weiß welches Geschäft es war. Sie sagte auch, dass es daheim unheimlich sei, es komme ihnen vor als wenn jemand bei ihnen einbrechen wolle, sie müsse daher schauen, dass sie wieder heimkomme. Bezüglich der Angaben des Kammers, wegen des Briefträgers muss ich verbessern, dass der Briefträger seine Zeitung nicht in den Briefkasten, sondern zwischen Fenster und der darin befindlichen Eisenstange steckte. Die Zeitung erschien, Dienstag, Donnerstag und Samstag. Als der Postbote die Zeitung an einem Dienstag die Zeitung an dem benannten Ort stecken wollte, steckte die vom Samstag noch darin. Bezüglich der Angaben über den Monteur muss ich verbessern, dass dieser zum Schlittenbauer nach Gröbern ging und mitteilte, dass er im Hofe von Hinterkaifeck niemand angetroffen habe und Schlittenbauer solle es den Leuten sagen, dass der Motor gerichtet sei. Zu dieser Sache erzählte mir Sigl, dass am Mittwoch den 5.4.1922 abends um
½ 6 Uhr herum der Bauer Pöll und glaublich Schrätzenstaller sind hierauf mit Schlittenbauer nach Hinterkaifeck. Dort ist den Leuten aufgefallen, dass Schlittenbauer mit einem Schlüssel aufsperrte und hinein ging. Die genannten Herren wollten jeder in eine andere Richtung gehen. Schlittenbauer aber sagte: „Geht nur mit mir, da draußen liegen sie alle",er meinte den Stadel und ging voraus. Die anderen folgten ihm. Er war so orientiert über die Lage der Toten, dass es ihnen momentan nicht aufgefallen ist, sie sich aber später darüber Gedanken machten. Er bat ferner die Toten ohne weiteres anfassen können, während jedem anderen ein Grausen über den Rücken liefen. Aufgefallen ist den Leuten außerdem, dass von dem Scheunentüre ein Seil herunter hing. Das Schlittenbauer mit dem rechtmäßigen Schlüssel aufsperrte fiel eigentlich anfänglich weniger auf, weil man wusste, das Schlittenbauer mit der Frau Gabriel ein Verhältnis hatte.
Außerdem versteht sich Schlittenbauer mit jedem Handwerk, er ist also sehr geschickt und man glaubte, er wird sich einen Nachschlüssel gefertigt haben. Nachträglich ging das Gerede, dass Frau Gabriel vor dem Mord schon in Geschäften oder bei Leuten erzählte, dass bei ihnen der Hausschlüssel schon ein paar Tage fehle. Sigl wird hier Namen nennen können.
Am Samstag den, 1.April 1922 nachts um ½ 12 Uhr ging der Zimmermann Michael Plöckl von Gröbern nach Mitterhaid. Sein Weg führte hinter dem Hof Hinterkaifeck vorbei. Im Vorbeigehen sah er wie im Backofen, Feuer brannte. Er blieb stehen und schaute. Im gleichen Moment soll dieser Mann, die Öffnung aus der, der Lichtschein hervordrang geschlossen haben. Dieser Mann ging mit einer elektrischen Taschenlampe auf ihm zu. Die Lampe hielt er mit gestrecktem Arm vor sich. Er leuchtete dem Plöckl direkt ins Gesicht ohne etwas zu sagen und ist wieder zurück in den Hof. Plöckl fürchtete sich und lief davon. Dem Plöckl ist später aufgefallen, dass doch am Backofen der Hund angehängt sein soll. Aus diesem Grunde muss dieser Mann, der sich in der Nacht am Backofen beschäftigte, ein Angehöriger gewesen sein.
Der Lehrer Yblagger der damals Lehrer an der Volksschule in Waidhofen war, ging ein paar Jahre nach dem Mord zufällig einmal an dem Hof, der um diese Zeit im Abbruch stand, vorbei. Der ganze Hof lag verlassen da. Es war also niemand dort beschäftigt. Yblagger dachte sich, nach dem der Hof im Abbruch war, sich die örtliche Lage etwas besser anzusehen, denn früher fürchtete er sich dorthin zu gehen. Als er hinkam, sah er wie Schlittenbauer in der Vertiefung, wo ursprünglich der Keller war kniete und unter dem Schutt herum wühlte. Yblagger schaute dem Schlittenbauer einige Zeit zu. Plötzlich bemerkte Schlittenbauer, dass er beobachtet wurde. Er erschrak und als Yblagger den Schlittenbauer fragte, was er den suche, sagte er schaue ob nichts mehr zu finden sei, was er eigentlich suchen wollte hat er nicht gesagt. Wieder eine Zeit später, zu einer Zeit, als der Hof vollständig abgebrochen war und an dieser Stelle ein Marterl stand, kam Lehrer Yblagger im nahegelegenen Wald vorbei. Es war wieder niemand in der Nähe. Er beobachtete aber von seinem Standplatz aus, dass wieder Schlittenbauer neben dem Marterl auf dem dort errichteten Betstuhl kniete und betete. An diesem Tage hat Yblagger glaublich den Schlittenbauer nicht angesprochen. Yblagger hat sich die Daten in seinem Notizbuch aufgeschrieben. Er erzählte seine Wahrnehmungen einmal in einer Schützenversammlung. Ich habe auch beobachtet, wie er seine Beobachtungen dem Pfarrer vom Ort in Gesellschaft erzählte. Aus den Reden der beiden Herren konnte man immer entnehmen, dass jeder der Ansicht war, dass Schlittenbauer der Täter ist. Der Pfarrer hielt sich in seinen Äußerungen zurück, dagegen Äußerte sich der Lehrer mit den Worten dem Pfarrer gegenüber: Ich bin auch ihrer Ansicht. Daraus konnte man schließen, dass beide den Pfarrer und auch den Schlittenbauer in Verdacht hatte. In seiner Grabrede von den Hinterkaifeckern sagte sogar der Pfarrer, er drückte sich in seinen Worten so aus, als ob der Mörder sich unter den Leidtragenden befände. Der Pfarrer Michael Haas ist jetzt Stadtpfarrer bei St.Josef in Augsburg. Auch der prakt. Arzt Dr. Pointer in Hobenwart Äußerte sich in Gesellschaft öfters, dass er es fast behauten möchte, dass Schlittenbauer der Täter ist. Einmal weiß ich, dass er seine Vermutung in Gegenwart von Kom. Goldhofer in Hohenwart zum Ausdruck brachte. Gen.Kom. Goldhofer sagte aber darauf, dass dies unmöglich sei.
Im Jahre 1924 war ich einmal bei dem Wirt Schwaiger in Gröbern. Um ½ 4 Uhr nachmittags kam auch Schlittenbauer in die Wirtschaft. Außer uns beiden war niemand in der Wirtschaft anwesend. Wir sprachen über Verschiedenes und zum Schuss über Geldangelegenheiten. Bei diesem Anlass sagte ich, jetzt bräuchten wir halt das Geld der Hinterkaifecker. Schlittenbauer sagte darauf, die haben nicht soviel gehabt, wie es die Leute immer sagten. Ich und der Wirt Schwaiger sagten wie es das nur geben könne, dass man gleich 6 umbringt, da müssen mindestens 3 oder 4 Täter beisammen gewesen sein. Darauf sagte Schlittenbauer: "Ja woher doch, das war ganz leicht, da hab ich gwartet bis eins nach dem andern kommen ist und habs niedergeschlagn". Darauf sagten wir: „Aber die Spuren, die schon zuvor herein gegangen sind?" Darauf sagte er ohne sich lange zu überlegen: „Da bin ich vorwärts rein und ärschlings raus“. Ich und der Wirt waren momentan ganz erstaunt, weil er von seiner Person sprach. Ich und zur gleichen Zeit auch der Wirt sagten: „Ja Lenz bist es denn du gwen?“, im gleichen Augenblick wurde er blass und sagte: „Ja habe ich den g'sagt, dass es ich g'wen bin, na, na, der wos g'macht hat, der hat es so gemacht“. Es ist dann eine Pause eingetreten. Man hat ihm angemerkt, dass er lieber von der Sache nichts mehr hören wollte. Wir haben deshalb auch nichts mehr gesprochen. Etwas später bin ich hinaus aufs Pissoir, auch der Wirt war gerade draußen. Ich sagte zum Wirt Schwaiger. Ja was sagst den dazu. Der Wirt sagte: “Da sagen wir lieber nichts, ich will nichts wissen davon, da büßte ich ja mein ganzes Geschäft ein." Später kam ich wieder zu dem Wirt Schwaiger. Ich sagte zu ihm, weil in der Zwischenzeit immer wieder andere der Täterschaft verdächtigt wurden, dass wir es doch einmal sagen müssten. Darauf sagte der Wirt: Die Gendarmen dürfen ihn ja nur holen, dann werden wir schon gefragt werden. Schwaiger ist allerdings heuer im heurigen Frühjahr gestorben. Ich glaube, dass er von diesem Gespräch sicher seinen Familienangehörigen etwas anvertraut hat.
Der Bauer Michael Pöll, der in der Nachbarschaft des Schlittenbauers wohnte, beobachtete den Schlittenbauer 3 bis 4 Jahre später nach dem Mord, wie er am Kammerfenster stand und nach Luft schnaufte (Schlittenbauer ist asthmaleidend). Er fragte deshalb den Schlittenbauer später, wie es mit seinem Leiden gehe. Darauf soll Schlittenbauer gesagt haben, indem er mit der Hand an die Lungengegend langte, "dös da täts noch, wenn des da drobm,- er zeigte Richtung Hinterkaifeck,- nicht wäre“.
Jakob Sigl Bauer in Gröbern, hatte im Jahre 1926 mit Schlittenbauer einen Beleidigungsprozess. Sigl hatte glaublich den Schlittenbauer einen Mörder geheißen. Wie der Prozess endete weiß ich nicht genau. Ich weiß nur, dass Sigl zu mir sagte, dass die Zeugen alle versagten. Sie trauten sich in Gegenwart von Schlittenbauer nicht die Wahrheit zu sagen. In der Gegend ist allgemein so, wenn Schlittenbauer in der Wirtschaft anwesend ist, wird selbstverständlich weniger gesprochen. Selbst wenn ein Fremder in der Wirtschaft kommt und der Wirt annimmt, es könnte ein Kriminalbeamter sein oder eine sonstige Person sein, der man nicht recht trauen kann, gibt er den Gästen ein Zeichen, über die Sache zu schweigen. Man will in der Gemeinde nicht haben, auch der alte Bürgenneister war der Anschauung, dass von den Gemeindemitglieder, einer ein Mörder ist.
In der Gegend nimmt man an, dass das Vieh des Gruber bzw. der Gabriel nach dem Morde gefüttert wurde, denn das Vieh soll trotzdem nicht so abgemagert ausgesehen haben, wie man es hätte annehmen müssen. Die Person, wie der Briefträger, so auch Plöckl, der nachts vorbei ging haben von dem Schreien des Viehes nichts gehört. Man nimmt an, dass der Mann, der nachts von Plöckl beobachtet wurde, das Vieh gefüttert hat.
Zur Zeit, als von der Mordtat bekannt wurde, sagte Frau Schlittenbauer zu Sigl: "Mein Mann ist auch schon ein paar Tage abgegangen, er ist im Heu droben gelegen, weil er Räuber vermutet hat." Sigl will zur Frau Schlittenbauer gesagt haben: „Warum geht denn der grad ins Heu hinauf?" Darauf hat sie aber keine Antwort mehr gegeben.
Der Ortspfarrer Haas hat dem Lehrer Yblagger erzählt, dass er den Schlittenbauer wegen seinem Leiden nach Wörichshofen geschickt habe. Schlittenbauer ist aber noch in der ersten Nacht oder am ersten Tag durchs Fenster davon. Er fühlte sich beobachtet. Die Leute vom Ort haben vermutet, dass ihn der Pfarrer absichtlich dorthin geschickt hat und ob er nicht dort eventuell in sich gehe und seine Tat beichtet. In der Wirtschaft in Gröbern haben wir den Schlittenbauer dann einmal aufgezwickt ob die Kur in Wörichshofen, den auch nichts genutzt habe. Er sagte darauf: Die Wasserkur kann ich daheim auch machen. Und dass ich mich von denen abfilzen las das braucht es nicht. Die brauchen nicht wissen, was ich mit meiner Alten zu tun hab und was ich träume von meiner Alten. Aus seinen Äußerungen konnte man annehmen, dass er der Sache nicht traute und vermutete, er könnte beobachtet werden.
Schlittenbauer ist äußerst intelligent und hat sehr guten Auffassungsgeist und ein sehr gutes Gedächtnis. Wenn das Gespräch in den Wirtschaften auf Hinterkaifeck gelenkt wird, versteht er es sofort, die ganze Unterhaltung auf etwas anderes zu lenken.
(Wenzeslaus Bley)
Bad Reichenhall 19.Februar 1931 Vernehmung des Hauptlehrers Hans Yplagger. Yblagger Hans 44 Jahre alt verheiratet Hauptlehrer in Marzoll.
Ich kam im Oktober 1922 als Lehrer nach Waidhofen und war dort bis Oktober 1927. In der Bevölkerung ist über die Mordangelegenheit sehr viel gesprochen worden, es ist auch von Zeit zu Zeit verschiedene Gerüchte über den eventuellen Täter gegangen. Einige Zeit lang hat man Verdacht gehabt auf den Gütler Kaspar von Waidhofen. Auch dessen Sohn ist einmal verdächtigt worden. Aus welchen Gründen aber kann ich weiter nicht mehr angeben. Auch darüber ist viel gesprochen worden, dass Schlittenbauer von Gröbern der Täter sein könnte. Diesen habe ich im Jahr 1925 in auffälliger Weise am Tatort angetroffen. Mein Schwiegervater und ich bemerkten den Schlittenbauer in der Mitte vom Anwesen vor dem Kellerloch. Er schaute zum Kellerloch hinunter in etwas nach vorn geneigter Haltung, aber stehend. Erst als wir auf S bis 7 Meter an ihn herangekommen waren, hat er uns plötzlich bemerkt. Ich hatte da den Eindruck, als ob er über unser Kommen erschrocken wäre. Ohne das wir ein Wort gesagt hätten, fing Lorenz Schlittenbauer sofort zu reden an und sagte zu mir. Dass da bei dem Bau des Hauses so furchtbar dicke Kellermauern gebaut wurden. Er erzählte mir dann den Mordfall und zwar unaufgefordert, das heißt er erklärte mir wo die einzelnen Leichen bei der Auffindung gelegen seien und zwar furchtbar hastig. Das hätte mich aber noch nicht so eigenartig berührt. Aber dann führte er mich an die äußerste Ecke vom Anwesen beim Stadel und dort erzählte er mir, was ich bisher noch nicht gehört hatte, nämlich, dass dort der Täter ein Loch habe aufgraben wollen, um die Leichen dort zu verscharren. Es war dies an der Stelle, wo auf der mir aus der bei den Akten befindlicher Zusammenstellung angehefteten und mir vorgelegten Anwesensskizze, V und I von Viertel eingezeichnet ist. Er erzählte mir, dass da auch noch eine Stelle gefunden worden sei, wo schon aufzugraben angefangen war. Da habe ich eingewandt. Darauf würde eigentlich den Verdacht erregen, dass der Täter von der Nähe sein muss, wenn der Täter von weither wäre, so hätte er geschaut, dass er so bald wie möglich wieder fort kommt. Darauf antwortete mir der Schlittenbauer: „Nein, Nein, Nein, der Täter ist von weit her, der ist nicht von der Nähe!" Er hat das als bestimmt gesagt und war sehr erregt über meine Meinung, dass der Täter von der Nähe wäre. Das fiel mir besonders auf und ich hatte den Eindruck, als ob er sich dagegen wehren wollte, dass man annehme der Täter sei von der Nähe. Beim Nachhausegehen haben wir beide schon über das eigenartige Benehmen des Schlittenbauers gesprochen. Ich hatte den Eindruck dass Schlittenbauer damals etwas befangen war, das noch eine fremde Person dabei war. Ich hatte auch den Eindruck, als ob es ihm peinlich war, dass man ihn am Tatort antraf. Denn bei der Bevölkerung bestand ja der Verdacht auf ihn. Am Schluss hat damals Schlittenbauer ganz plötzlich abgebrochen und auch das war mir auffällig. Er hat bei der ganzen Sache fast immer alleine geredet, plötzlich sagte er zu mir, er müsse in den Wald gehen und nach dem Fuchs oder Mardereisen sehen. Seine Buben hätten Fallen gestellt, weil bei ihm immer Hübner weggekommen seien.
Ich bin vor diesem Vorfall und auch und nachher öfters am Tatort vorbeigekommen, habe aber dort niemals sonst den Schlittenbauer gesehen, auch nicht bei dem dort später errichteten Marterl. Davon habe ich auch dem Wenzeslaus Bley nichts erzählt, wohl aber von der erwähnten Begebenheit bei der mein Schwiegervater mit an der Mordstelle war.
Ich habe natürlich auch mit Pfarrer Haas öfters über den Mordfall gesprochen. Es sind da aber unsere Meinungen über den Täter auseinander gegangen. Während Pfarrer Haas immer den Gütler Kaspar als den Verdächtigeren hielt, war ich der Meinung, dass der Schlittenbauer mehr verdächtig wäre. In der Bevölkerung sind damals auch noch die Gebrüder Thaler von Vorderkaifeck als Täter genannt worden. In der Bevölkerung war schon verbreitet, dass das Vieh bis zur Aufdeckung der Leichen gefüttert worden ist. Es ist auch in der Bevölkerung als auffallend erzählt worden, dass Lorenz Schlittenbauer nach der Aufdeckung der Leiche sofort das Vieh gefüttert habe. Er soll in den Keller gegangen sein und Milch geholt und damit die Schweine gefüttert haben. Wer das erzählt hat, daran kann ich mich mehr erinnern. Ich meine aber von einem, der bei der Aufdeckung der Leichen dabei war.
Den Schlittenbauer habe ich natürlich immer beobachtet, wenn ich ihn gesehen habe, wie alle, die als Täter in Frage kamen. Er war ein ganz eigenartiger Mensch, bald so, bald wieder anders, bald heiter bald wieder ganz unterdrückend, als ob er nicht normal wäre. Ich habe den an sich an der Mordstelle zwischen mir und Schlittenbauer abgespielten Vorfall für die Sache nicht so bedeutsam gehalten und deshalb auch bisher der Staatsanwaltschaft nichts mitgeteilt.
(Hans Yblagger)
Polizeidirektion, Landeskriminalpolizei .(Riedmayr München)
München den 5. Februar 1931
Die Anzeige des Johann Kammer, die sich lediglich auf Erzählungen vom Wenzeslaus Bley stützt, brachte im wesentlichen nur eine Wiederholung der Momente, die bereits früher zu verschiedenen malen für eine Täterschaft des Lorenz Schlittenbauer angeführt wurden.
Auch die Einvernahme von Bley ergab kaum einen neuen Gesichtspunkt für eine erfolgsversprechende Wiederaufnahme der Erhebungen in Richtung gegen Schlittenbauer. Insbesondere gerade die wichtigsten Angaben des Bley. Die in erster Linie eine Belastung vom Schlittenbauer darstellen würden, sind offenkundig unrichtig, so von allen die Behauptung, dass Schlittenbauer einen Schlüssel zum Haus besessen habe, mit dem er als erster in das Haus gegangen sei.
Bereits bei der ersten Erhebung und Einvernahme wurde mit einer jeden Zweifel ausschließenden Klarheit festgestellt, dass Schlittenbauer zuerst mit den Bauern Pöll und Sigl auf dem Wege durch das Maschinenhaus und der Scheune in das Wohnhaus eingedrungen ist und dann erst von innen die vordere Haustüre öffnen konnte. Allerdings ist in den Akten keine Konstatierung darüber enthalten, ob diese innen mit einem Riegel oder einem Schlüssel verschlossen war und ob dieser Schlüssel in der Türe steckte.
Die vorliegende Anzeige zeigt, dass sich des gesamten Verdachtskomplexes gegen Schlittenbauer die Legendenbildung bemächtigt hat und gelegentlich anderweitiger Erhebungen in der in Frage kommender Gegend konnte ich auch jüngster Zeit die Wahrnehmung machen, dass in der gesamten Öffentlichkeit die Überzeugung von der Schuld vom Schlittenbauer verbreitet ist, ohne das jedoch neue Anhaltspunkte gegeben werden können.
Schlittenbauer weiß sehr wohl, dass diese Gerüchte bis zum heutigen Tag nicht verstummt sind, es macht aber fast den Eindruck, als ob er müde geworden wäre, immer von neuem gegen diesbezügliche Anwürfe vorzugehen.
Beim Studium der Akten kann man sich der Eindrucke nicht erwehren, dass die Verdächtigungen vom Schlittenbauer nicht zuletzt deshalb nicht zu Ruhe kamen, weil Lehrer und Pfarrer gleichfalls zu der Annahme neigten, dass er der Täter ist, und insbesondere scheint der Lehrer Yblagger nicht selten dieser seiner Meinung auch Ausdruck verliehen zu haben. Ich möchte nicht unterlassen in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass der Lehrer Yblagger, der in Marzoll bei Reichenhall wohnt, bis heute nicht vernommen wurde, obwohl zu verschiedenen Zeiten sein Name mit in die Debatte gezogen wurde. Vielleicht würde es sich empfehlen, gerade mit Rücksicht darauf, dass auch Bley sich immer wieder auf Yblagger beruft, dessen richterlichen Einvernahme zu veranlassen.
Bei Würdigung des gesamten vorliegenden Material muss festgestellt werden, dass zwar, wie bereits erwähnt, bisher zur Überführung ausreichende Anhaltspunkte für eine Täterschaft des Schlittenbauer nicht erbracht werden konnten, dass es aber auch heute noch nicht möglich ist, ihn endgültig aus dem Kreis der in der Erwägung zu ziehenden Personen auszuscheiden.
In den Akten findet sich immer wieder der Hinweis, dass bei Schlittenbauer jeder Beweggrund zu der schauerlichen Tat fehlt, jedoch wurde nach meiner Ansicht hierbei einer Feststellung zu wenig Beachtung geschenkt, die nicht aus dem Auge gelassen werden darf. Ich meine hierbei den Umstand, dass Schlittenbauer von der Frau Gabriel Geld erhalten hat, das später wieder zurückgefordert wurde. Die mir zur Verfügung stehenden Akten enthalten nur sehr dürftige Andeutungen. Eine Klarstellung, welche Bewandtnis es mit diesem Geld hatte, findet sich nirgends. Bei Beurteilung des zwischen Schlittenbauer und der Familie Gruber-Gabriel bestehenden Verhältnisses wurde immer wieder an jenen ersten Angaben festgehalten, die etwa folgenden Sachverhalt ergaben: Andreas Gruber war im Jahre 1915 wegen Blutschande mit seiner Tochter Viktoria Gabriel mit einem Jahr Zuchthaus und Viktoria Gabriel mit einem (Jahr) Gefängnis bestraft worden. Im September 1919 hatte dann Lorenz Schlittenbauer, der natürliche Vater des ermordeten Knaben, nachdem er wegen Anerkennung der Vaterschaft und Alimentierung des Kindes in Anspruch genommen war, gegen Gruber und seine Tochter eine neue Strafanzeige wegen Blutschande erstattet. Das Strafverfahren endete jedoch damals mit Freisprechung der beiden, nachdem Schlittenbauer sich mit der Kindsmutter geeinigt und eine Abfindungssumme von 1800 Mark für das Kind bezahlt hat.
Von dem Geld, das Schlittenbauer erhielt, ist in dieser immer wiederkehrenden Darstellung mit keinem Wort die Rede, sie bedarf deshalb meines Erachtens einer nicht unbedeutenden Korrektur, die im folgendem Versuch sei: Nach der ganzen Sachlage muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass der Erzeuger des Knaben der Alte Gruber war. Als sich die Gabriel schwanger fühlte, dürften Vater und Tochter eine neuerliche Bestrafung gefürchtet haben und so wurde Schlittenbauer zum Handkuss zugelassen, ohne dass er wohl zunächst geahnt haben mag, welch eigenartige Rolle ihm zugedacht war. Später erkannte Schlittenbauer dann die wahren Zusammenhänge, möglicherweise erst bei der Berechnung der Schwangerschaftszeit und erstattete gegen Gruber Anzeige wegen Blutschande. Um eine neuerliche Bestrafung abzuwenden, mag nun Viktoria Gabriel sich mit Bitten und Versprechungen an Schlittenbauer gewand haben und ihm insbesondere in Aussicht gestellt haben, dass er sie heiraten könne. Schlittenbauer erhielt damals auch 5 000 Mark (siehe BL 177 des Hauptaktes) wofür dieses Geld bezahlt wurde geht aus den Akten nicht hervor, jedoch ist der Gedanke naheliegend, dass es sich um eine Bestechung handelt. Möglich ist auch, ihm das Geld nur ausgehändigt wurde, um ihn in den Stand zu setzen die Abfindung zu bezahlen und dadurch bei der vormundschaftlichen Verhandlung seiner Anerkennung der Vaterschaft besondere Glaubwürdigkeit zu verleihen. Eine Abfindung aus Eigenem hat Schlittenbauer demnach überhaupt nie bezahlt. Er erkannte die Vaterschaft an und bewahrte so den alten Gruber und seine Tochter vor Strafe. Hier zu hat er sich wohl nur deshalb herbei gelassen, weil ihm versprochen worden war, dass ihn die unvermögende Gabriel heirate. Sein einspringen wurde aber schlecht gelohnt, die Versprechungen wurden nicht gehalten, der alte Gruber gab seine Tochter nicht her und zu dem wurde das Geld zurück gefordert. Bei Würdigung des ganzen Charakterbildes, das von der Familie Gruber-Gabriel gegeben wurde, ist ihnen eine solche Handlungsweise wohl zuzutrauen. Schlittenbauer mag eingesehen haben, dass er diesem Wortbruch machtlos gegenüber stand,die Abmachung konnte er nicht aufdecken, ohne selbst unter die Räder zu kommen. Dass er noch wiederholt versucht hat, wenigstens Geld zu erhalten, geht daraus hervor, dass Viktoria Gabriel geklagt hat, dass Schlittenbauer von ihnen Geld erpresst. ( Bl.10 des Sonderaktes Schlittenbauer.) Bei dem bekannten Geiz der Familie Gruber hat er kaum welches erhalten und es kann wohl angenommen, dass Schlittenbauer keinen geringen Groll gegen die Bewohner des Hinterkaifecker Hofes nährte. Wenn er dann, wie aus den Akten hervor geht (siehe auch BI. l des Sonderaktes Schlittenbauer) noch zuweilen gefragt wurde, warum er den die Viktoria nicht geheiratet habe, so mag dadurch die Wut immer neu aufgestachelt worden sein. So scheint mir die grausige Tat immerhin erklärlich. Möglicherweise durch ein bis heute unbekanntes Ereignis oder vielleicht eine Aussprache mit der Viktoria Gabriel, die ja auch nach dem Tatbestandsbericht wahrscheinlich als erste getötet wurde. Wenn auch nicht jede Einzelheit des vorstehenden durch eindeutige Feststellungen belegt werden kann, so glaube ich doch sagen zu dürfen, dass diese Darstellung viel Wahrscheinlichkeit für sich hat.
So würde auch verständlich werden, warum sich die Wut des Täters sogar an dem kleinen Kind in solcher Heftigkeit austobte. Der Eindruck, dass es sich viel eher um einen Racheakt, als um einen Raubmord handelt, war ja wohl immer vorherrschend. Eines scheint mir jedenfalls festzustellen:
Schlittenbauer hielt sich selbst nicht für den Vater des Kindes. Sein Jammern nach seinem Hansel (der Knabe hieß Josef) erhält bei solcher Betrachtung, eine besondere Beleuchtung.
Schließlich sei noch erwähnt, dass ich vor einiger Zeit in Waidhofen in Erfahrung brachte, dass Schlittenbauer, wenn die Rede auf den Mord kommt, unter Hinweis auf den bekannten Bibelspruch, dass die Blutschande treiben, der Zorn Gottes trifft, unter Vorzeigung der Bibel zu sagen pflegt: „Es war ein Gottesgericht. Gott hat eben einen der seinen auserwählt und der es getan hat, war nur das Werkzeug von Gottes strafender Gerechtigkeit.“ Eine Äußerung, die auch der Gendarmerie - Kommissar Goldhofer von Hohenwart schon vom Schlittenbauer gehört hat und die ganz in den Rahmen der vorstehenden Auffassung passt.
Zum Schluss möchte ich nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass ich mir wohl bewusst bin, dass die Aussichten für eine Überführung von Schlittenbauer denkbar gering sind. Immer noch geben die mir vorliegenden Akten einschließlich der umfangreichen polizeilichen Vormerkungen keinen Aufschluss über das erwähnte Geld. Die Klärung dieser Frage wird sich deshalb nicht umgehen lassen.
Ob zu den sehr bedeutsamen Niederschriften BL. 174 - 180 des Hauptaktes noch weitere Ermittlungen angestellt wurden, entzieht sich meiner Kenntnis. Da die einzelnen Protokolle nicht unterschrieben sind, ist möglicherweise noch eine Urschrift vorhanden, die in einen anderen Akt eingelegt wurde. Nach der ganzen Sachlage ist es, (wenigstens, solange sich Schlittenbauer auf freiem Fuß befindet), unwahrscheinlich, dass durch weitere Zeugenbefragungen wesentliche neue Gesichtspunkte erbracht werden können. Es wäre deshalb nach durchgeführter Vernehmung des Lehrers Yblagger wohl die Frage zu erwägen, ob es sich nicht empfehlen dürfte, Schlittenbauer nochmals eines gründlichen Verhörs zu dem gesamten Fragenkomplex zu unterziehen.
Aus taktischen Erwägungen würde diese Einvernahme hier erfolgen und Schlittenbauer würde zu diesem Zwecke nach München vorgeladen werden, vorausgesetzt, dass die Staatsanwaltschaft die Kosten übernimmt, die ja keineswegs höher werden, als wenn ein Beamter nach Gröbern fährt.
Gez. Riedmayr, Krim. Inspektor.
München 31. März 1931
Nach telefonischer Rücksprache des Herrn Polizeidirektors Renner mit Herrn Oberstaatsanwalt Kestel begab sich der Unterzeichnete auftragsgemäß am 3.3.31 nach Neuburg a.d.Donau zur eingehenden Besprechung der gegen Schlittenbauer vorliegenden Verdachtsmomente.
Im Einverständnis des Herrn Oberstaatsanwalts wurde dann Lorenz Schlittenbauer unterm 21. März zur Einvernahme für 30. März 1931 nach München vorgeladen. Die an Schlittenbauer gesandte Vorladung hatte folgenden Wortlaut:
Betreff: Sechsfacher Mord in Hinterkaifeck.
Im Auftrage der Staatanwaltschaft Neuburg a.d.Donau sollen Sie zu der im Betreff genannten Sache als Zeuge nochmals gehört werden. Sie werden deshalb ersucht, sich am Montag, den 30. März 1931 vormittags 10 Uhr im Polizeigebäude in München Ettstr.2, Zimmer Nr. 245/II einzufinden.
Da sich die Vernehmung möglicherweise auf zwei Tage erstrecken wird, wollen Sie sich auf eine Übernachtung einrichten.
Die entstandenen Barauslagen werden Ihnen ersetzt werden.
Schlittenbauer hat sich am 30.3.31 bei der Polizeidirektion München eingefunden. Das Ergebnis der Einvernahme liegt bei.
Gez. Riedmayr Krim. Inspektor.