Aussagen: 1930-08-08 Bley Wenzeslaus: Unterschied zwischen den Versionen

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Zum Sonderakt bei der Dst. 2:  Sechsfacher Raubmord in Hinterkaifeck
Zum Sonderakt bei der Dst. 2:  Sechsfacher Raubmord in Hinterkaifeck

Version vom 8. Oktober 2011, 14:29 Uhr

Quelle

Staatsarchiv München / Pol. Dir. 8091b

Detailinformationen

Datum

08.08.1930

Ort

unbekannt

Zugegen

Wenzeslaus Bley, Schreiner
unbekannter Protokollant

Inhalt

München, den 8.8.30

Ref. I. Dst. 2


Betreff: Sechsfacher Raubmord in Hinterkaifeck


Auf Einladung erscheint der

Schreiner Wenzeslaus Bley

Geb. 16.10.84 in Waidhofen, B.A. Schrobenhausen, wohnhaft hier, Reifenstuelstrasse 4/0 und erklärt zu obiger Sache:

Die Angaben des Kammerer sind zum Teil richtig, zum Teil sind sie von ihm falsch verstanden und deshalb unrichtig wiedergegeben. Bezüglich des Gesprächs des alten Gruber in der Eisenhandlung in Schrobenhausen: In der Wirtschaft wurde erzählt, daß Gruber am Tage vor dem Mord in Schrobenhausen in einer Eisenhandlung – es sind zwei dort – aber vermutlich bei Vogel war. Dort sagte er, er müsse schauen, daß er wieder heimkomme, denn er fürchte, daß in seinem Hause etwas nicht in Ordnung sei. Weiter sagte er: Während der vergangenen Nacht ist keine Ruhe gewesen, die ganze Nacht habe ich im Boden droben etwas gehört, wie wenn jemand herumgehe. Ich bin auch hinaufgegangen mit Licht, habe aber nichts gesehen. Fürchten tue ich mich nicht. Ich habe mein Gewehr schon hergerichtet. In der Früh habe ich sogar eine Spur im Neuschnee gesehen, die in das Haus führte, Aber eine Spur, die vom Hause wegführte, habe ich nicht gesehen“. Er meinte dann, der werde schon wieder hinaus sein. Er machte dann seine Einkäufe, ich glaube es wurde von Schienen gesprochen.

Auch die Tochter des Gruber, verw. Gabriel war an dem Nachmittage in Schrobenhausen und hat dort in einem Geschäft, wo weiß ich nicht, ich glaube aber, daß es der Sigl von Gröbern weiß, ähnliche Äußerungen gemacht wie ihr Vater. Sie sagte auch, daß es daheim unheimlich sei, es komme ihnen vor, als wenn jemand bei ihnen einbrechen wolle, sie müsse daher schauen, daß sie wieder heimkomme. Ich kann es evtl. noch erfragen, wo sie eingekauft hat.

Bezüglich der Angaben des Kammerer wegen des Briefträgers muß ich verbessern, daß der Briefträger seine Zeitung nicht in einen Briefkasten, sondern zwischen Fenster und der darin befindlichen Eisenstange steckte. Die Zeitung erschien Dienstag, Donnerstag und Samstag. Als er an einem Dienstag diese Zeitung an den ben. Ort stecken wollte, steckte die vom Samstag noch drin.

Bezüglich der Angaben über den [[Personen: Hofner Albert | Monteur] muß ich verbessern, daß dieser nicht zum Schlittenbauer nach Waidhofen, sondern nach Gröbern ging und diesem mitteilte, daß er im Hofe von Hinterkaifeck niemand getroffen habe und er – Schlittenbauer – solle es den Leuten sagen, daß der Motor gerichtet sei.

Zu dieser Sache erzählte mir Siegl [Anm,: richtig: Sigl], daß am Mittwoch, 5.4.22, abends um 1/2 6 Uhr herum Schlittenbauer zu ihm herüberrief: “Kommen ein paar mit nach Hinterkaifeck, die Leute sind alle erschlagen“. Siegl, Kreitmeier Josef, der Bauer Pöll und glaublich Schrätzenstaller sind hierauf mit Schlittenbauer nach Hinterkaifeck. Dort ist den Leuten aufgefallen, daß Schlittenbauer mit einem Schlüssel aufsperrte und hineinging. Die gen. Herren wollte jeder in eine andere Richtung gehen. Schlittenbauer aber sagte:“Geht nur mit mir, da draußen liegen sie alle“ – er meinte den Stadel – und ging voraus. Die anderen folgten ihm. Er war so orientiert über die Lage der Toten, daß es ihnen zwar momentan nicht aufgefallen ist, sie sich aber später darüber Gedanken machten. Er hat ferner die Toten ohne weiteres anfassen können, während jedem anderen ein Grauen über den Rücken lief.

Aufgefallen ist den Leuten außerdem, daß vor dem Scheunentürl – innen – ein Seil herunterhing. Es machte den Eindruck, als wenn sich der Täter an diesem Seil heruntergelassen hat. Das Schlittenbauer mit dem rechtmäßigen Schlüssel aufsperrte, fiel eigentlich anfänglich weniger auf, weil man wußte, daß Schlittenbauer mit der Frau Gabriel ein Verhältnis hatte. Außerdem versteht sich Schlittenbauer mit jedem Handwerk, er ist also sehr geschickt und man glaubte, er wird sich einen Nachschlüssel gefertigt haben. Nachträglich ging das Gerede, daß Frau Gabriel vor dem Mord schon in Geschäften oder bei Leuten erzählte, daß bei ihnen der Haustürschlüssel fehle. Siegl wird hier Namen nennen können.

Am Samstag, den 1. Apr. 1922 nachts um ½ 12 Uhr ging der Zimmermann Michael Blöckl [Anm.: richtig Plöckl] von Gröbern nach Mitterhaid. Sein Weg führte hinter dem Hof Hinterkaifeck vorbei. Im Vorbeigehen sah er wie im Backofen, dieser bildete ein gesondertes Häuschen im Hofraum des Anwesens, Feuer brannte. Er blieb stehen und schaute. Im gleichen Moment soll dieser Mann die Öffnung aus der der Lichtschein hervordrang geschlossen haben. Dieser Mann ging nun mit einer elektrischen Taschenlampe auf ihn zu. Die Lampe hielt er mit gestrecktem Arm vor sich. Er leuchtete dem Blöckl direkt ins Gesicht ohne etwas zu sagen und ist wieder zurück in den Hof. Blöckl fürchtete sich und lief davon. Dem Blöckl [Plöckl] ist später aufgefallen, dass doch am Backofen der Hund gehängt sein soll. Aus diesem Grunde muss der Mann, der sich in dieser Nacht am Backofen beschäftigte, ein Angehöriger oder Bekannter gewesen sein.

Der Lehrer Yblagger, der damals Lehrer an der Volksschule in Waidhofen war, ging ein paar Jahre nach dem Mord zufällig einmal an dem Hof, der um diese Zeit im Abbruch stand, vorbei. Der ganze Hof lag verlassen da, es war also niemand dort beschäftigt. Yblagger dachte sich, nachdem der Hof schon im Abbruch war, sich die örtliche Lage doch etwas besser anzusehen, denn früher fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Als er hinkam, sah er wie Schlittenbauer in der Vertiefung, wo ursprünglich der Keller war, kniete und unter dem Schutt herumwühlte. Yblagger schaute dem Schlittenbauer einige Zeit zu. Plötzlich bemerkte Schlittenbauer, daß er beobachtet wurde. Er erschrak und als Yblagger den Schlittenbauer fragte, was er denn da suche, sagte Schlittenbauer, er schaue, ob nicht mehr zu finden sei. Was er eigentlich suchen wollte, hat er nicht gesagt.

Wieder eine Zeit später, zu einer Zeit, als der Hof vollständig abgebrochen war und an dessen Stelle ein Marterl stand, kam Lehrer Yblagger im nahe gelegenen Wald vorbei. Es war wieder niemand in der Nähe. Er beobachtete aber von seinem Standplatz aus, daß wieder Schlittenbauer neben dem Marterl auf den dort errichteten Betstuhl kniete und betete. An diesem Tage hat Yblagger glaublich den Schlittenbauer nicht angesprochen. Yblagger hat sich die Daten in seinem Notizbuch aufgeschrieben. Er erzählte seine Wahrnehmung einmal in einer Schützenver-sammlung. Ich habe auch beobachtet, wie er seine Wahrnehmungen dem Pfarrer vom Ort in Gesellschaft erzählte. Aus dem Reden der beiden Herren konnte man immer entnehmen, daß jeder der Ansicht war, daß Schlittenbauer der Täter ist. Der Pfarrer hielt sich in seinen Äußerungen zurück, dagegen äußerte sich der Lehrer mit den Worten dem Pfarrer gegenüber: “Ich bin auch ihrer Ansicht“. Daraus konnte man schließen, daß der Pfarrer auch den Schlittenbauer in Verdacht hatte. In seiner Grabrede sagte sogar der Pfarrer, er drückte sich in seinen Worten so aus, als ob der Mörder sich unter den Leidtragenden befände. Der Pfarrer – Michael Haas – ist jetzt Stadtpfarrer bei St. Josef in Augsburg.

Auch der prakt. Arzt Dr. Pointer in Hohenwart äußerte sich in Gesellschaft öfters, daß er es fast behaupten möchte, daß Schlittenbauer der Täter ist. Einmal weiß ich, daß er seine Vermutung in Gegenwart von Kom. Goldhofer in Hohenwart zum Ausdruck brachte. Gend. Kom. Goldhofer sagte aber darauf, daß dies unmöglich sei.

Im Jahre 1924 war ich einmal bei dem Wirt Schwaiger in Gröbern. Um 1/2 4 Uhr nachmittags kam auch Schlittenbauer in diese Wirtschaft. Außer uns beiden war niemand in der Wirtschaft anwesend. Wir sprachen über verschiedenes und zum Schluß über Geldangelegenheiten. Bei diesem Anlaß sagte ich, jetzt bräuchten wir halt das Geld der“Hinterkaifecker“. Schlittenbauer sagte darauf:“Die haben nicht so viel gehabt, als was die Leute immer sagten“. Ich und der Wirt Schwaiger sagten, wie es das nur geben könne, daß man gleich 6 umbringt, da müssen mindestens 3 bis 4 Täter beisammen gewesen sein. Darauf sagte Schlittenbauer: „Ja woher doch, das war ganz leicht, da hab ich g´wart bis eine nach dem anderen kommen is` und hab’s niedergschlagn“. Darauf sagten wir: „Aber die Spuren, die schon zuvor herein gegangen sind?“ Darauf sagte er ohne sich lange zu überlegen: „Da bin ich vorwärts nei und arschlinks raus“. Ich und der Wirt waren momentan ganz erstaunt, weil er von seiner Person sprach. Ich und zu gleicher Zeit auch der Wirt sagten: „Ja Lenz, bist es denn Du gwen“. Im gleichen Augenblick wurde er blaß und sagte: „Ja hab ich denn g`sagt, daß es ich gwen bin, na, na, der wos gmacht hat, der hat es so gemacht“. Es ist dann eine Pause eingetreten. Man hat ihm angemerkt, daß er lieber von der Sache nichts mehr hören wollte. Wir haben deshalb auch nichts mehr gesprochen. Etwas später bin ich einmal hinaus auf Pissoir, auch der Wirt war gerade draußen. Ich sagte zu dem Wirt: „Ja was sagst denn da dazu“. Der Wirt sagte: “Da sagen wir lieber nichts, ich will nichts wissen davon, da büß ich ja mein ganzes Geschäft ein“. Später einmal kam ich wieder zu dem Wirt Schwaiger. Ich sagte zu ihm, weil er in der Zwischenzeit immer wieder andere der Täterschaft verdächtigt wurden, daß wir es doch einmal sagen müssen. Darauf sagte er: “Die – damit meinte er die Gendarmen – dürfen ihn ja nur holen, dann werden wir schon gefragt werden“. Schwaiger ist allerdings heuer im heurigen Frühjahr gestorben. Ich glaube, daß er von diesem Gespräche sicher seinen Familienangehörigen etwas anvertraut hat.

Der Bauer Michael Pöll, der in der Nachbarschaft des Schlittenbauer wohnte, beobachtete den Schlittenbauer 3 bis 4 Jahre später, wie er an seinem Kammerfenster stand und nach Luft schnaufte (Schlittenbauer ist asthmaleidend). Er fragte deshalb den Schlittenbauer später, wie es mit seinem Leiden gehe. Darauf soll Schlittenbauer gesagt haben indem er mit der Hand an die Lungengegend langte: „Dös da täts noch, wenn dös da droben – er zeigte Richtung Hinterkaifeck – nicht wäre“.

Pöll ist auch schon gestorben. Er hat aber von diesem Gespräche dem Siegl erzählt.

Sigl, Bauer in Gröbern, hatte im Jahre 1927 mit Schlittenbauer einen Beleidigungsprozeß. Sigl hatte glaublich den Schlittenbauer einen Mörder geheißen. Wie der Prozeß endete, weiß ich nicht genau. Ich weiß nur, daß Sigl zu mir sagte, daß die Zeugen alle versagten. Sie trauten sich in Gegenwart von Schlittenbauer nicht die Wahrheit zu sagen. In der Gegend ist es allgemein so, wenn Schlittenbauer in der Wirtschaft anwesend ist, wird selbstverständlich weniger gesprochen. Selbst wenn ein fremder in die Wirtschaft kommt und der Wirt annimmt, es könnte ein Kriminalbeamter oder eine sonstige Person sein, der man nicht recht trauen kann, gibt er den Gästen ein Zeichen, über die Sache zu schweigen. Man will in der Gemeinde nicht haben, auch der alte Bürgermeister war der Anschauung, daß von den Gemeindemitgliedern einer ein Mörder ist.

In der Gegend nimmt man an, daß das Vieh des Grubers bezw. der Gabriel nach dem Morde noch gefüttert wurde, denn das Vieh soll trotzdem nicht so abgemagert ausgesehen haben, wie man es hätte annehmen müssen.

Die Personen, wie der Briefträger, so auch Blöckl [Anm.: richtig: Plöckl], der nachts vorbeiging, haben von dem schreien des Viehes nichts gehört. Man nimmt an, daß der Mann, der nachts von Blöckl beobachtet wurde, das Vieh gefüttert hat.

Zur Zeit, als von der Mordtat bekannt wurde, sagte Frau Schlittenbauer zu Sigl: “Mein Mann ist auch schon ein paar Tage abgegangen, er ist im Heu droben gelegen, weil er Räuber vermutet hat“. Sigl will zu Frau Schlittenbauer gesagt haben: “Ja warum geht denn der ins Heu nauf“. Darauf hat sie aber keine Antwort mehr gegeben.

Der Ortspfarrer Haas hat dem Lehrer Yblagger erzählt, daß er den Schlittenbauer wegen seines Leiden nach Wörishofen geschickt habe. Schlittenbauer ist aber noch in der ersten Nacht oder am ersten Tag durchs Fenster davon. Er fühlte sich beobachtet. Die Leute vom Ort haben vermutet, daß ihn der Pfarrer absichtlich dorthin geschickt hat und ob er nicht dort evtl. in sich gehe und seine Tat beichtete.

In der Wirtschaft in Gröbern haben wir den Schlittenbauer dann einmal aufgezwickt, ob die Kur in Wörishofen denn auch nichts genutzt habe. Er sagte darauf:“Die Wasserkur kann ich daheim auch machen. Und das ich mich von denen abfilzen lasse, das braucht es nicht. Die brauchen nicht wissen, was ich mit meiner Alten zu tun hab und was ich träume von meiner Alten“. Aus seinen Äußerungen konnte man annehmen, daß er der Sache nicht traute und vermutete, er könnte beobachtet werden.

Schlittenbauer ist äußerst intelligent und hat sehr guten Auffassungsgeist und ein sehr gutes Gedächtnis. Wenn das Gespräch in den Wirtschaften auf Hinterkaifeck gelenkt wird, versteht er es sofort, die ganze Unterhaltung auf etwas anderes zu lenken. Vorerst fällt mir nichts mehr ein“.

V. g. u. u.
Gez. Wenzeslaus Bley


Schlittenbauer stand, soweit hier bekannt, schon gleich nach dem Morde in verdacht, die Tat verübt zu haben. Die in dieser Richtung eingeleiteten Erhebungen führten zu keinem positiven Ergebnis. Über die Einzelheiten der seinerzeitigen Verdachtsgründe ist kein hiesiger Beamter näher unterrichtet. Krim.O.Insp. Reingruber, der die Erhebungen in der Mordsache gemacht hat, ist seit 1. März 1930 pensioniert. Inwieweit es sich den Angaben des Schreiners Wenzeslaus Bley um neue Tatsachen handelt, läßt sich hier nicht beurteilen. Vielleicht ist die zuständige Gendarmeriestation in der Lage, sich hierüber zu äußern.

An den Herren
Oberstaatsanwalt beim Landgerichte
Neuburg a. d. Donau



München, den 8. September 1930
Polizeidirektion
I. A.
gez. Fauß

Zum Sonderakt bei der Dst. 2: Sechsfacher Raubmord in Hinterkaifeck

München, den 8. September 1930
Polizeidirektion

I. A.

Verbindung zum Mordfall Hinterkaifeck

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