Zeitungsartikel: 1996-06-05 Zum Tod von Viktoria Baum
Titel
Detailinformationen
Datum
05.06.1996
Ort
Gröbern / Schrobenhausen
Art des Dokumentes
Zeitungsartikel
Verfasser
Donaukurier
Verfasst für
Donaukurier
Verfügbar
Staatsarchiv München
Inhalt
Hinterkaifeck-Mord bleibt Mysterium Letzte Zeitzeugin beigesetzt Viktoria Baum, geborene Schlittenbauer, war über 94 Jahre alt geworden Schrobenhausen (mpy) Die Todesanzeige unterschied sich auf den ersten Blick nicht von vielen anderen: Eine 94 jährige Frau ist nach einem erfüllten Leben gestorben. Doch im Leben der Viktoria Baum, geborene Schlittenbauer gab es ein Ereignis, das sie fast ständig begleitete, und sie zu einer Person des öffentlichen Interesses machte: Sie war die letzte Zeitzeugin des heute ungeklärten Mordes in Hinterkaifeck. Am Mittwoch wurde sie am neuen Friedhof beigesetzt. Auch dort war natürlich Hinterkaifeck bei den Gästen ein Thema. Was hat sie wirklich gewusst? Der Journalist Reinhard Köchl, der 1991 zusammen mit Kurt Hieber den Film „Hinterkaifeck – auf den Spuren eines Mörders gedreht hat, war Viktoria Baum im Zuge der Recherchen oft begegnet. „Für mich war Frau Baum sehr wichtig gewesen“, erzählt er, sie war eine sehr kluge Frau, die mit dem Mysterium umzugehen wusste. Zeit ihres Lebens hat sie darum gekämpft, ihren Vater vom Vorwurf der Schuld zu befreien. Jenes Mysterium geht auf die Ereignisse der Nacht vom 31. März auf den 1.April 1922, einen Samstag zurück. Damals wurden alle Bewohner des Einödhofes Hinterkaifeck grausam ermordet: Austragsbauer Andreas Gruber (63) und dessen Gattin Cäzilia (72), deren 35jährige Tochter Viktoria Gabriel mit ihren Kindern Cäzilie (7) und Josef (2) sowie die Magd Maria Baumgartner (44). Der oder die Täter hatten ihnen mit einer Hacke die Schädel zertrümmert. Erst am Dienstag wird der Mord entdeckt, nachdem ein auf den Hof bestellter Handwerker niemanden angetroffen hat und er im benachbarten Gröbern Alarm geschlagen hat. Es ist 15.30 Uhr, als sich der Gröberner Ortsführer Lorenz Schlittenbauer mit seinen Kindern (Viktoria Baum, damals 21) Josef und Johann sowie dem Landwirt Jakob Siegl und dem Gütler Michael pröll auf die Suche nach den Grubers gemacht hat. Ich bin von hinten in den Stall nei, hat Viktoria Baum dem Journalisten Köchl erzählt und da bin i über an Fuß g`stolpert, der mit Heu zugedeckt war. Und dann war da noch ona. Die Männer entdeckten zwei weitere im Stadel und zwei im Haus. „Wenn mal sechs Tote daliegen, was meinen`s was da los is, in so oana Gemeinde. Mir ham uns alle a so g`forcht`n“ erzählte Viktoria Baum. Auch ihre vor zwei Jahren verstorbene jüngere Schwester Maria , die bis zu ihrem Tod in Koppenbach lebte, hatte immer wieder von der schrecklichen Angst gesprochen, die die Kinder damals hatten. Sie seien daheim nicht mehr auf den Speicher gegangen, weil die Mörder sich nachweislich mehrere Tage lang auf dem Dach des Hinterkaifecker Hofes aufgehalten hatten. Und sie hätten sich nicht getraut, draußen allein zu spielen, viele Monate lang. Erst allmählich erschlossen sich damals den Ermittlungsbeamten der Kriminalpolizei die Abgründe der Familie Gruber und die Vielzahl von Motiven und Tatverdächtigen. Als sie nämlich feststellten, dass Vater Andreas mit Tochter Viktoria über Jahre hinweg nach ihrem 19. Geburtstag Inzest betrieben hatte, wofür er ein Jahr, sie einen Monat im Gefängnis verbracht hatte (Viktoria Gabriel war zu diesem Zeitpunkt schon Witwe, ihr Mann Karl war 1914 gefallen), dass aus dieser Beziehung möglicherweise Sohn Josef hervorgegangen ist, den dann aber Lorenz Schlittenbauer, der in dieser Zeit um die Hand Viktorias angehalten hat, anerkannte. Lorenz Schlittenbauer war für viele Waidhofener der Mörder. Noch heute existieren Briefe, in denen er der Greueltat beschuldigt wird. Die Polizei fand zwar ein Motiv, aber keine Beweise für die Tat. Ein Mitglied der Familie Schlittenbauer soll Jahre später einen anderen Namen angenommen haben, um nicht mehr mit der Sache in Verbindung gebracht zu werden. Viktoria Baum tat alles, um ihren Vater von dem Verdacht reinzuwaschen. Sie, und auch ihre Schwester Maria Böck hielten die Brüder von Karl Gabriel für die Täter.; sie hätten allen Grund gehabt, den Namen der Familie, der nach Gabriels Kriegstod durch den Inzest beschmutzt war, reinzuwaschen. Anton und „der stille Jakob“, wie er in Waidhofen genannt wurde, waren 1937, als das Verfahren einmal mehr aufgerollt wurde, drei Wochen lang inhaftiert und mangels Beweisen wieder freigelassen worden. Die Verjährungsfrist wurde dadurch aber um weitere 20 Jahre verlängert. Im Herbst 1951 scheint der Mord plötzlich vor der Aufklärung zu stehen. Der Schrobenhausener Matthäus E. behauptet 1945 in Gefangenschaft auf einen russischen Kommissar gestoßen zu sein,der ihm zur Heimkehr verholfen und ihn mit den Worten: „ Sag ihnen der Mörder von Hinterkaifeck hat dich entlassen“ zurückgeschickt haben soll. Das sei Karl Gabriel gewesen, erklärte Matthäus E., nicht 1914 gefallen, sondern quicklebendig. Des Rätsels Lösung? Nein, denn in einem weiteren Verhör gibt er zu die Geschichte erfunden zu haben. Noch einige Male wurde unwahrscheinlichen Mordtheorien nachgegangen, zuletzt durch einen pensionierten Beamten der Kripo Ingolstadt. Für ihn waren ebenfalls die Gabriel-Brüder die Täter. Und natürlich 1991 durch Kurt Hieber und Reinhard Köchl. Es wäre vermessen, zu behaupten, die Brüder oder Lorenz Schlittenbauer wären es gewesen, meint der Journalist. Nur in einem ist er sich sicher: „Meines Erachtens hat Viktoria Baum viel mehr gewusst, als sie zugab. Jetzt hat aber auch die letzte Zeitzeugin ihr Wissen mit ins Grab genommen.
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