Eine ganze Familie ausgelöscht – Unheimliches Kapitel der Kriminalgeschichte
Schrobenhausen (eigen. Bericht). Am 31. März jährt sich zum 30. Male die Mordnacht von Hinterkaifeck, über deren Begleitumstände seinerzeit die gesamte Weltpresse ausführlich berichtete. Der Mörder hat es bis zum heutigen Tage verstanden, sich in völliges Dunkel zu hüllen. Der Hof, dessen sechs Bewohner er aus heute noch unbekannten Gründen erschlug, steht längst nicht mehr.
Die Einöde Hinterkaifeck befand sich etwa einen Kilometer westlich der Ortschaft [Orte: Gröbern | Gröbern]] bei Waidhofen im Kreis Schrobenhausen. Sämtliche Bewohner des Hofes, der 63jährige Austragslandwirt Andreas Gruber, seine 72jährige Ehefrau Cäcilie, ihre 35jährige Tochter Viktoria Gabriel und deren Kinder, die achtjährige Cäcilie und der zweieinhalbjährige Joseph sowie die 45jährige Baumgartner, die eben ihren dienst als Magd in Hinterkaifeck angetreten hatte, wurden am Abend des 31. März 1922 von einem unbekannten Täter ermordet. Der Mann der jungen Bäuerin, [[Personen: Gabriel Karl | Karl Gabriel], war aus dem ersten Weltkrieg nicht zurückgekehrt. Die Untat kam erst vier Tage später, am 4. April, ans Licht. In der Futterkammer, die sich unmittelbar neben dem Stall befand, lagen vier Leichen: die beiden alten Gruber, ihre Tochter Viktoria und deren Kind Cäcilie. Die Toten wiesen schwere Kopfverletzungen auf. In einer Kammer fand man die Leiche der Magd Maria Baumgartner. Auch ihr war der Schädel eingeschlagen. Die Tote war noch völlig bekleidet und ihr Rucksack hing mit einem Riemen an ihrer Schulter. Als sechstes Opfer des Mörders entdeckte man im Schlafzimmer der alten Gruber das zweieinhalbjährige Söhnchen Joseph der Viktoria Gabriel: Der Knabe lag mit durchschlagenem Kopf im Kinderwagen, dessen Dach der Mörder bei dem tödlichen Hieb ebenfalls zertrümmert hatte. Ein starkes Aufgebot Landespolizei suchten die umliegenden Wälder ab, das Staatsministerium des Innern setzte 100 000 Mark Belohnung für die Festnahme des Täters aus (damals war Inflation) und das Bezirksamt Schrobenhausen ermahnte jedermann zur höchsten Wachsamkeit. Bei aller Mühe, die von den zuständigen Stellen aufgewendet wurde – man handelte offenbar mehr eifrig als besonnen – gelang es nicht, den Täter zu ermitteln. Immerhin ergab sich an Hand der polizeilichen Erhebung der ungefähre Hergang des Verbrechens. Wahrscheinlich geschah die Tat um die Stunde, da die Bewohner Hinterkaifecks ihre Arbeit in Haus und Stall beendet hatten und sich anschickten, zu Bett zu gehen. Der Täter machte offenbar eine Kuh im Stall los. Dadurch wurden die Tiere unruhig. Der Mörder konnte ohne weiteres annehmen, daß sich jemand in den Stall begeben würde, um Nachschau zu halten. Mit einer sogenannten Stockhaue in der Hand, stellte er sich hinter der Stalltür auf und wartete. Auf diese Weise gelang es ihm, nacheinander den alten Gruber, Viktoria Gabriel und die alte Frau zu erschlagen. Da in der Futterkammer, wo die Leichen später gefunden wurden, auch das tote Mädchen Cäcilie lag, ist anzunehmen, daß ihm das Mädchen in den Weg lief, als er sich aus dem Stall in das Haus begab. Die Magd überraschte er in ihrer Kammer. Es scheint, als habe sie – vielleicht hatte sie Hilferufe gehört – die Flucht ergreifen wollen, denn über der einen Schulter der Toten hing noch ihr Rucksack. Das letzte Opfer mag der kleine Joseph gewesen sein.
Die ursprüngliche Meinung, daß ein Raubmord vorläge, erwies sich bald als nicht zutreffend. Der Mörder nahm keinen Pfennig Geld mit sich und er ließ auch den Schmuck unberührt. Bevor er das Weite suchte, versteckte er erst das Mordinstrument. Dies tat er mit großer Überlegung. Der Gendarmerie gelang es jedenfalls nicht, das Gerät ausfindig zu machen, mit dem die sechs Menschen erschlagen worden wären. Da sich niemand bereiterklärte, Hinterkaifeck zu beziehen, wurde der Hof 1923 abgebrochen. Bei dieser Gelegenheit fand man im Fehlboden unter dem Scheunendach eine Stockhaue mit Blutspuren und daran haftenden Frauenhaaren. Damit war man im Besitz des lange gesuchten Mordinstrumentes. Der Verdacht lenkte sich, auch in späteren Jahren noch, auf eine Reihe von Personen, aber niemandem konnte eine Schuld nachgewiesen werden. Bis zum heutigen Tage ist es noch nicht gelungen, Licht in das Dunkel jener Märznacht 1922 zu bringen. Wenn man sich mit Bewohnern von Gröbern oder Waidhofen über den Mord unterhält, kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, als wüßten die Leute dort um Dinge Bescheid, die sie nicht preisgeben wollen. Möglicherweise vertritt auch die Oberstaatsanwaltschaft Augsburg diese Auffassung, denn sie hat kürzlich die Akten Hinterkaifeck wieder hervorgezogen und neue Erhebungen nach dem Mörder eingeleitet, der allein die Frage beantworten könnte, warum er in jener Nacht sechs Leben auf unmenschliche Weise vernichtete.
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