Zeitungsartikel: 1953-05-06 Weltbild: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 29. August 2022, 09:36 Uhr
Sie nennen mich Mörder ohne den Schatten eines Beweises!
Detailinformationen
Datum
06. Mai 1953
Ort
Art des Dokumentes
Zeitungsartikel
Verfasser
Heinz Ulrich u. Gerhard Gronefeld
Verfasst für
Weltbild
Inhalt
„Dort geht der Mörder!” raunen die Leute auf der Straße und drehen sich nach ihm um. Fünf Jahre war er im Außendienst des Wohnungsamtes tätig. Jeder zweite kennt ihn daher in der kleinen Stadt.
Sie nennen mich Mörder Wie ein Blitzschlag trifft dieses Ehepaar die Rundfunkmeldung, man habe den Mörder von Hinterkaifeck. „Auf Silvester, beim Halmaspielen, hören wir es. Wir atmen beide auf. Gott sei Dank! ruf ' ich aus. Da merke ich entsetzt: Ich selber bin ja gemeint!" Ein hinter die Kirche geducktes Haus, grau, mit langen Reihen kleiner Fenster. Ein Scheunentor führt hinein. Wo wohnt Herr Gump? Eine Frau deutet zu einer schmalen eisernen Treppe hinüber. „Da oben!" Lüstern, neugierig schaut sie uns an. „Ich hab es in der Zeitung gelesen", sagt sie, „der Frau soll es sein, sagen die Leute . . ." Die eiserne Treppe wankt unter unserm Gewicht. Dann lesen wir an der Tür: Gump! Zwölf Jahre lang, schon 1922, habe ich in der Fabrik neben Gump Anton gesessen", sagt Herr Leykam, ein Arbeitskollege. „Da lernt man einen Menschen kennen. Er war immer vergnügt. Hab' nie was bemerkt. Für den leg ich meine Hand ins Feuer!" „Die größten Räuschehaben wir miteinander gehabt", erzählt der Bauer Thoma in Schönbichl vom verstorbenen Adolf Gump, der viele Jahre bei ihm gewohnt hat. „Nie was Verdächtiges gehört. Im Rausch hätte er bestimmt nicht den Mund gehalten." „Hören sie mir aufmit dem Totenbettgeständnis!" Gumps Schwager Herr Liebl, war vor dem Krieg in Amerika und las dort Briefe der Verstorbenen an einen Onkel. „Sie strotzten nur so von Verleumdungen. Wie kann man diese Person ernst nehmen!" Aus zwei Liegeplätzen im Heu schloß man auf zwei Mörder. Zahlreiche Verdächtige wurden verhaftet, aber weil das Verbrechen erst an vierten Tage entdeckt wurde und frischer Schneefall Spuren verwischte, versagten selbst die Hunde der Polizei. Haß und Rache tobten sich alsbald in der Gegend aus. Eine Tochter zeigte ihren Vater an, er sei der Mörder von Hinterkaifeck, und der alte Mann saß drei Monate, bis sich seine Unschuld herausstellte. Der Staatsanwalt hat uns vor Gump gewarnt: "Das ist ein versierter Mensch. Der kennt sich aus. Der wird Sie in Grund und Boden reden!" Das kann man sich vorstellen bei einem Mann, der sechs Menschen erschlug und diese Tat dreißig Jahre in seinem Innern verbarg. Wir klopfen. Wir öffnen die Tür und stehen in einer kleinen sauberen Küche. Eine alte Frau steht vor uns. Böse sieht sie uns an. Kampfbereit wischt sie die Hände an ihrer Schürze ab und deutet nach hinten: "Da sitzt mein Mann." Vom Sofa erhebt sich ein kleiner alter rotbäckiger Mann mit einer großen Nase und grauen Haaren, die wie bei einer Bürste nach oben stehen. Er trägt einen Schnurrbart, der heftig zu zittern beginnt, sobald er erregt ist. Unbeholfen, hilflos steht er da, erschrocken, aufgeregt, übernächtigt. Die Röte auf seinem Gesicht weicht dann und wann einer wächsernen Blässe. Wir zeigen ihm die "Warnung", die er selbst in der Zeitung veröffentlicht hatte: "Im Zusammenhang mit der Mordtat von Hinterkaifeck und den diesbezüglichen Presseberichten wurde in Ingolstadt und auswärts mein Name genannt. Ich werde jeden gerichtlich belangen, der mich mit der genannten Tat mündlich oder schriftlich in irgendeine Verbindung bringt. Ich bin mir keinerlei Schild bewusst und werde versuchen, auf dem Prozesswege meine Unschuld zu beweisen." Gump spricht stockend, er sucht nach Worten, es fällt ihm schwer, fließend zu reden. Seine Worte sind einfach, vom Augenblick eingegeben, nicht vorbedacht. Dieser Mann soll "versiert" sein? Wir verstehen den Staatsanwalt nicht. Diese Mann hier lebt unter einem furchtbaren Druck, dem er nicht ausweichen kann. Schon die Geschichte der Warnung, die er uns jetzt erzählt, bezeugt seine Hilflosigkeit. Da erscheint in der Zeitung seiner Stadt ein Artikel, in dem Gump, zunächst noch ohne Namen, des Mordes bezichtigt wird. Drei Tage später bestellt ihn dieselbe Zeitung auf ihre Redaktion, durch einen Brief, in dem steht:"... daß in den nächsten Tagen mit Wahrscheinlichkeit Ihr Name in Zusammenhang mit der Affäre Hinterkaifeck durch die Presse gehen wird ... wir wollen Ihnen Vorschläge machen, um dies zu vermeiden." Gump geht geängstigt hin. Man fordert von ihm, er solle eine Warnung in die Zeitung setzen, um sich gegen böse Zungen zu wehren. Er weigert sich. Da läßt man ihn selbst ein Telefongespräch führen, aus dem er glaubt entnehmen zu müssen, auch in Pfaffenhofen werde sein Name in Verbindung mit Hinterkaifeck genannt. Darauf gibt er, ganz verstört, seine Einwilligung zu der Warnung, die als kostenloses Inserat am nächsten Tage erscheint. Form und Inhalt der Warnung setzt ihm die Redaktion auf. Der Rechtsanwalt, zu dem er nachher geht, weil man ihm in der Redaktion auch noch, ohne ihn zu fragen, fotografiert hat, fragt entsetzt: Die Frau tritt neben ihren Mann. Ihr Gesicht ist vom Weinen gerötet! "Mein Toni ist kein Mörder!" Sie klammert sich an ihn. Er greift sich mit der Hand an die Brust. Hilflos und schmerzlich ist sein Blick auf uns gerichtet. Im Kreuzverhör "Ich war im vergangenen Mai drei Wochen in Untersuchungshaft", sagt Gump. Der Untersuchungsrichter hat mir gesagt, ich solle ruhig gestehen, es wäre ja schon verjährt ... Aber ich konnte ja nicht gestehen, wenn ich nichts wusste!" Dann setzt er leise hinzu: "Ich habe ihm gesagt: 'So etwas kann nicht verjähren. So ein scheußlicher Mord muss aufgeklärt werden. Der darf nicht verjähren.' Aber das hat er auch wieder sehr verdächtig gefunden." Ja, da sind die Leute, die sie persönlich kennen, die lachen darüber, daß der Toni ein Mörder sein soll. Aber da sind die vielen andern, die zwar wissen, wie 'Gump aussieht - er war zuletzt fünf Jahre Prüfer beim Wohnungsamt und lief einmal von Wohnung zu Wohnung -, aber die ihn nicht näher kennen. Die sind es, die tuscheln und mit dem Finger auf den alten Mann zeigen und die es glauben, wenn in einer Frankfurter Zeitung steht: "Der Untersuchungsrichter richtet keine Fragen mehr an den überführten Mörder. Angesichts des vor ihm kauernden Verbrechers läuft es sogar dem erfahrenen Kriminalisten eiskalt den Rücken hinunter. "An dieser Schilderung ist kein wahres Wort. "Ich hab' sie 1919 zum erstenmal gesehen, bevor wir geheiratet haben", erzählt die Ehefrau. "Der Toni hat mich als seine Braut vorgestellt, und sie hat wütend zu ihm gesagt: 'Ich kenne dich nicht,' " Am anderen Tag sind wir mit dem alten Mann unterwegs. Wir sind etwas vorsichtig. Immerhin glaubt die Staatsanwaltschaft doch anscheinend immer noch, daß er ein Mörder ist. Vielleicht ist doch etwas dran? Wir setzen Gump vorne neben den Fahrersitz. Der Sicherheit halber... Bei dem Bauern Thoma in Schönbichl sind wir zuerst. Dort hat der andere Bruder gewohnt, Adolf Gump, von dem es heißt, daß er von erbitterten Kriegsgefangenen, die er brutal gequält haben soll, erschlagen wurde. Aber hier ist nur was von einem Fahrradunfall bekannt. Man stellt ihm das beste Zeugnis aus. Er sei ein großer "Militarist" gewesen, aber sonst eine "Seele von Mensch". Die Witwe legt uns später den Totenschein ihres Mannes vor. Es wird darauf bestätigt, daß Gump eines natürlichen Todes gestorben ist. Dieses Dokument befindet sich anscheinend nicht in den Akten des Staatsanwalts. Der alte Thoma erzählt uns, wie die Creszentia Meier 1938 ihren sterbenden Vater dazu gebracht hat, vor seinem Tode zu ihr zu ziehen. "Einmal ist sie hier gewesen. Im Gasthaus hat sie gewohnt. Es war ihr nicht fein genug hier bei uns. Dem alten Gump hat sie gesagt, sie würde ihn Pflegen wie ihren Augapfel. Er hat nicht recht gewollt. Dann hat sie heimlich Briefe an ihren Vater geschrieben. Ich weiß nicht, was sie geschrieben hat. Was Gutes wird es nicht gewesen sein. Denn der Vater ist wirklich mißtrauisch geworden auf uns. Und auf den Adolf. Eines Tages hat er seine Sachen zusammengepackt und ist nach Augsburg gefahren. Ich weiß dann nicht mehr viel. Bloß daß die Centa den Vater für hundert Mark an die Anatomie in München verkaufen wollte. Meine Tochter, die ihn nach Augsburg gebracht hat, die hat sie verdächtigt, ihn bestohlen zu haben." Hundert Teufel im Leib? Und dann erfahren wir die scheußlichsten Dinge über die Tote, von allen bezeugt, so schlimm, daß es uns ekelt vor so viel Niedertracht und menschlicher Kälte. Es ist unmöglich, alles das öffentlich auszubreiten, es genügt, wenn bezeugt wird, daß Frau Centa Meier ihren sterbenden Vater dafür geprügelt hat, daß er nicht reinlich genug war, daß sie ihm die Blumen aus der Hand riß und zerstampfte, weil Schwester Tina uns Schwester Rosa sie dem Vater mitgebracht hatten. Das letzte Wort des Vaters über seine Tochter Centa ist gewesen:
"Die hat nicht einen Teufel im Leib, sondern hundert." Zuletzt besuchen wir noch jenes Cafè in Augsburg, wo Centa Meier einmal Hausmeisterin war. Die Besitzerin erinnert sich bald. "Herrgott, das war doch die, die so unglaublich schmutzig war. Gestohlen hat sie, Und sonst war es auch nicht richtig bei ihr. Ja, die haben wir sehr schnell wieder entlassen ... Ja, die ... wenn es die ist, die Sie meinen, dann kann ich Ihnen nur sagen, daß bei ihrer angeborenen teuflisch Art alles Lug und Trug war, was sie gebeichtet hat." Wir erinnern uns, was ihr Beichtvater, Kaplan Hauber, einigen Jugendlichen über Frau Meier erzählt hat: "Diese Frau hat nur erklärt, daß ihre Brüder in Augsburg leben." Aber weder Adolf noch Anton Gump haben jemals in Augsburg gewohnt... Anton Gump ist zur Zeit der Tat Fabrikarbeiter gewesen. Adolf Gump, der ältere, war Korbmacher. Er zog mit einem Schubkarren voller Körbe, Bettzeug und ähnlichem Hausrat mit seinem Vater zusammen auf dem Lande umher, von Dorf zu Dorf, wegen seiner Armut und seines Berufes bei den begüterten Bauern nicht eben angesehen.
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