Zeitungsartikel: 1922-02-09 Coburger Zeitung: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 10. März 2023, 20:53 Uhr

Die Stellung des unehelichen Kindes

Detailinformationen

Datum

09.02.1922

Ort

Coburg

Art des Dokumentes

Zeitungsartikel

Verfasser

unbekannt

Verfasst für

Coburger Zeitung

Inhalt

Die Stellung des unehelichen Kindes

Der Artikel 121 der Weimarer Verfassung lautet:
"Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen, wie den ehelichen Kindern." Zur Bearbeitung der Frage fand schon am 29. und 30. Oktober 1920 im Reichsjustizministerium eine eingehende Beratung mit Sachverständigen statt, an der Hand von übersandten Fragebogen. Es wurde eine "weitgehende Übereinstimmung" über die Mittel und Wege zur Durchführung der Forderung des Artikels 121 festgestellt. - Im Juni 1921 richteten die Unabhängige Frau Schröder und der jetzige Justizminister Radbruch eine Anfrage an der Reichstag, was bisher geschehen sei, um dieser Verfassungsbestimmung im Bürgerlichen Gesetzbuch Geltung zu verschaffen. Eine gleiche Anfrage richtete am 7. November die Demokratische Partei durch die Abgeordnete Dr. Lüders und Genossen an die Reichsregierung und fragte an, wann ein entsprechender Gesetzentwurf vorgelegt werden würde. Schon am. November antwortete der Justizminister Dr. Radbruch, daß auf Grund der Äußerungen der Länder im Reichsjustizministerium ein neuer Entwurf aufgestellt worden sei, in dem auch die Ergebnisse der Beratungen des im September 1921 in Bamberg abgehaltenen 3. Deutschen Juristentages berücksichtigt worden seien. Über den Charakter des Entwurfs äußert sich der Justizminister: "Der Entwurf beschränkt sich nicht auf die Neuordnung des Rechtes der unehelichen Kinder als solchen, sondern er sieht auch eine Anzahl von Änderungen sonstiger Vorschriften des BGB vor, die erfahrungsgemäß für die unehelichen Kinder besondere Bedeutung haben. In Betracht kommen hierbei namentlich die Annahme an Kindes Statt, die Anfechtung der Ehelichkeit, die Ehelichkeitserklärung und die Stellung der Kinder aus nichtigen Ehen." Nach dem Wunsch der Länder soll der neue Entwurf zunächst noch mit Vertretern der Länder durchgesprochen werden, und dann "mit tunlichster Beschleunigung" dem Reichsrat vorgelegt werden. Nach Pressemeldungen sollte der Entwurf schon zu Beginn des neuen Jahren dem Reichstag zugehen. Bei der Fülle dringender Arbeiten und der erfahrungsgemäßen Langsamkeit des Ganges der Handlung ist anzunehmen, daß die Beratung noch nicht in diesem Monat einsetzt. Doch ist es wichtig, daß sich weite Frauenkreise über ihre Stellung zu diesen Fragen klar werden. Die Schwierigkeit einer gerechten und zweckmäßigen Regelung dieser Fragen liegt darin, daß einerseits kein Kind, seine Herkunft sei, welche sie wolle, gesundheitliche und sittliche Schädigung erfahren darf, daß also die Gesetzesvorschriften dementsprechend gestaltet werden müssen. Denn sowohl die Gesichtspunkte der Menschheit wie der nationalen Volkskraft verbieten es uns, Leben, die nun einmal vorhanden sind, verkümmern und verkommen zu lassen. Darin ist sich auch die deutschnationale Frauenwelt einig: "A l l e n Kindern ist körperliche und sittliche Pflege zu gewährleisten." Andererseits sind aber Ehe und Familie, als einzige gesunde Grundlage für ein aufwachsendes Geschlecht, in ihrer sittlichen, geistigen und rassischen Bedeutung nicht durch Maßnahmen herabzudrücken, welche dem unehelichen Kinde unterschiedslos die Vorzüge der Stellung des ehelichen Kindes zubilligen würden. Die Hochstellung der Ehe und der Familie muß also, trotz Berücksichtigung aller Bedenken, die eine Vernachlässigung des körperlichen und sittlichen Wohl der Unehelichen hervorrufen würde, der Leitstern sein, der uns auf dem schwierigen Wege einer gerechten Lösung dieses Problems führt. Es wären also im wesentlichen die Maßnahmen, die besondere Vorzüge und Erleichterungen im Lebenskampf bedeuten, für das eheliche Kind allein festzuhalten, schon als Anreiz zur Ehe als einer Sicherung der Zukunft des Kindes, andererseits aber ist alles das zu beseitigen, was durch körperliche und sittliche Schädigung der Schar der unehelichen zu einer Belastung für Staat, Volksmoral und Gesellschaft wird. Aus dem berufenen Munde von Fürsorgerinnen, denen die Praxis Einblick gab, wird bestätigt, daß die Lage des unehelichen Kindes so benachteiligt ist, daß die dringend einer druchgreifenden, umfassenden Verbesserung und Hebung bedarf; und daß andererseits das uneheliche Kind tatsächlich, unter den ungünstigen Umständen in die Welt gesetzt, als Säugling größere Sterblichkeit und mangelhafte Entwicklung zeigt, als Heranwachsender und unzureichende Erziehung, mangelhafte Berufsausbildung und häufige Verwahrlosung. Nur, wo die unehelichen Mütter oder gar die mütterlichen Großeltern sich des Kindes pflichttreu annehmen, werden die schlimmsten Folgen vermieden. Auch die bisherigen fürsorgerischen Maßnahmen, Berufsvormundschaft, Ziehkinderwesen usw. können nicht durchgreifende Hilfe bringen. Die geringe und oft nicht einzutreibende Alimentation (oft nur 20 M monatlich!) kann auch nicht annähernd für den Lebensunterhalt, Erziehung und Berufsausbildung ausreichen.
Es sind nun im Entwurf des Jugendwohlfahrtsgesetzes in den Abschnitten über Amtsvormundschaft, Pflegekinder und Unterstützung hilfsbedürftiger Minderjähriger eine Reihe von Vorschriften zugunsten der unehelichen Kinder gegeben. Sie wären also ebenfalls in dem Sinne zu prüfen, ob sie einerseits eine Sicherheit gegen körperliche und sittliche Verwahrlosung bieten und die Möglichkeit geben, auch diesen durch Geburt benachteiligten Volksgliedern den Weg als tüchtige und brauchbare Staatsbürger zu ermöglichen, ohne doch andererseits -hier beginnt der notwendige Konflikt der beiden zu erstrebenden Ziele- die Stellung des unehelichen Kindes dem des ehelichen so anzugleichen, daß dieses eine Herabdrückung des Ansehens und der zentralen Stellung der Ehe am Volksleben bedeutet. Bei den rein fürsorgerischen Maßnahmen, die ja im wesentlichen körperliche Pflege und Verhütung sittlicher Verwahrlosung betreffen, wird dieser Konflikt noch weniger in Erscheinung treten als bei den eigentlichen rechtlichen, insbesondere namensrechtlichen und vermögensrechtlichen Bestimmungen, und solchen Regelungen, die höheren Ausbildungsmöglichkeiten und die gesellschaftliche Stellung betreffen. Hier ist eine Nivellierung des Lebensbedingungen unehelicher mit ehelichen Kindern in der Tat eine schwere Gefährdung der Stellung der Ehelichen, weil sie zur gesetzlichen Regelung gemacht wird und es sollte auch bei Behandlung der Unehelichenfrage weithin deutlich sein, was die Verfassung (Art 119) sagt: "Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung." Was die Einzelforderungen der heutigen Zeit zur Stellung des unehelichen Kindes gegenüber den bestehenden Bestimmungen des BGG anlangt, wie z.B., ob das uneheliche Kind den Namen des Vaters oder der Mutter führen soll, das Sorgerecht der unehelichen Mutter, ob dieses durch die Amtsvormundschaft zu beschränken wäre und sie nur die Rechte der ehelichen Ehefrau beanspruchen darf, der gegenüber sie bisher bevorteilt ist - wie dies sich aus der Praxis als notwendig zu ergeben scheint, ob und in welchem Maße die Unterhaltspflicht des Vaters zu erweitern und über da 16. Lebensjahr des Kindes auszudehnen ist, wie sich Unterhalt und Erbberechtigung nach dem Tode des Vaters gestalten - wobei eine ganz besonders gefährliche Annäherung der Stellung des unehelichen zu der des ehelichen stattfinden kann - so ist das hier im engen Rahmen nicht zu erörtern möglich.
Es sei nur hingewiesen auf die vielen Fragen, die mit der Unehelichenfrage verknüpft sind. Der berühmte § 1717, die sogenannte exceptio plurium, die in der Praxis bisweilen zu einer bequemen Abwälzung der Vaterschaft geführt hat, falls mehrere Männer in Betracht kamen, wird wohl bestehen bleiben müssen, wenn die Praxis in der Tat bestätigt, daß z.B. bei 550 Klagen nur 70 wegen exceptio plurium berechtigterweise abgewiesen wurden und unter 1500 Fällen nur bei 5 eine böswillige Verabredung zum Schaden des Mädchens nachgewiesen werden konnte. Der Gesetzentwurf wird - das steht nach dem bisher bekannt gewordenen fest - eine Erleichterung für die Unehelichen, auch in den für die Stellung der Ehe bedenklichen Punkten anstreben. Es ist dafür zu sorgen, daß die notwendigen Verbesserungen für die unehelichen Kinder nicht zu unnotwendigen Verschlechterungen für die ehelichen Kinder werden.

Quelle

Archiv d. Coburger Zeitung online: [1]